Flucht aus dem Harem
Ravenhurst nicht als Bedrohung für das empfunden, was zwischen ihm und Leila war.
Wenn sie allerdings tatsächlich in Ravenhursts Begleitung zu „Delilah’s“ ging, dann musste er handeln. Sogar in der kurzen Zeit, die er sich in London aufhielt, hatte sich der Ruf des Hauses bis zu ihm herumgesprochen. Einfach ausgedrückt war es ein Ort, an dem Frauen diskret Zerstreuung finden konnten. Mit mitgebrachten Partnern oder mit Männern, die den Besuch von „Delilah’s“ einem gewöhnlichen Bordell vorzogen. Aber es war stets die Frau, die entschied, mit wem sie sich in einen der luxuriösen Räume zurückzog. Die meisten Gäste im „Delilah’s“ trugen Masken, allerdings bestand dazu keine Pflicht, denn man kannte sich ohnehin.
Justin umklammerte das Fensterbrett. In den vergangenen zwei Wochen hatte er nichts weiter getan, als an jenen Orten zu erscheinen, an denen sich Leila aufhielt. Ein wenig unverfängliches Geplauder, ein paar nichtssagende Sätze, die vielleicht mehr als eine Bedeutung besaßen. Das war alles gewesen. Er hatte sie in keinster Weise bedrängt, er wollte nur dafür sorgen, dass sie wusste, dass er da war. Dass er wartete, so wie er es versprochen hatte.
Aber er würde nicht zusehen, wenn sie sich – aus welchen Gründen auch immer – mit Ravenhurst bei „Delilah’s“ vergnügte – auf die einzige Art, die dort möglich war.
Die Stunden bis zum Abend zogen sich endlos dahin. Justin überlegte, ob er ins Theater fahren sollte, verwarf die Idee aber wieder. Er hatte kein Problem damit, einen Skandal zu entfachen – etwas, das zweifellos geschehen würde, wenn es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und Ravenhurst kam, aber er wollte nicht, dass Leilas Ruf dadurch in Mitleidenschaft gezogen wurde. Also machte er sich am späten Abend auf zu „Delilah’s Castle“.
Man ließ ihn ein, nachdem er seine Karte auf das Silbertablett des livrierten Dieners gelegt hatte, der öffnete. Eine in schwarze Seide gekleidete Frau las lautlos seinen Namen, musterte ihn von oben bis unten und nickte dann. „Willkommen, Mylord. Ich wünsche einen angenehmen Abend.“ Sie verzog die rotgeschminkten Lippen zu einem breiten Lächeln und band ihm einen gelben Seidenschal um den rechten Oberarm. „Das ist Ihr Erkennungszeichen, Mylord.“ Ehe er nachfragen konnte, führte sie ihn schon weiter und reichte ihm dabei eine schwarze Satinmaske mit Samtbändern.
Der Salon besaß die Ausmaße eines Ballsaals. In einer Ecke spielte ein Mann auf einem Pianoforte, in einer anderen wurden Getränke ausgeschenkt. Mehrere Grüppchen elegant gekleideter Männer standen beisammen und unterhielten sich in gedämpfter Lautstärke. Nur wenige von ihnen trugen Masken, aber jeder hatte ein buntes Seidentuch um den Arm gebunden
Justin ließ sich ein Glas Whisky kredenzen und beobachtete die Vorgänge um sich herum. In smaragdgrüne Jacken und elfenbeinfarbene Kniehosen gekleidete Pagen gingen zwischen den Männern herum und überreichten dem einen oder anderen mit einer kleinen Verbeugung ein Kärtchen.
Der betreffende Mann steckte das Kärtchen ein und wandte sich zur Tür. Justin ließ sich seine Vermutung über den Zweck dieses Procedere von einem Pagen bestätigen.
In den Gemälden an der Wand befanden sich Gucklöcher, durch die die Frauen im Nebenraum die Männer beobachteten, bevor sie ihre Wahl trafen. Ein Page überbrachte dem Auserkorenen, den er an der Farbe des Seidentuchs erkannte, ein Kärtchen mit der Nummer des Zimmers, in dem die Frau auf ihn wartete.
Justin drehte das Glas zwischen den Fingern. Er war noch nie hier gewesen, also hatte er vom Gang der Dinge keine genaue Vorstellung gehabt. Und jetzt, da er den Ablauf kannte, wusste er noch viel weniger, wie er verhindern sollte, dass sich Leila mit Ravenhurst in eines der Zimmer zurückzog. Ihm zu folgen und ihn niederzuschlagen erschien Justin zwar reizvoll, würde aber vermutlich den sofortigen Verweis aus dem Haus zur Folge haben.
Unschlüssig schlenderte er durch den Saal und blickte sich um, konnte aber weder Ravenhurst noch Sheridan unter den Anwesenden entdecken. Vielleicht kamen sie ja auch gar nicht, vielleicht hatte sich Jimmy geirrt. Er wollte sich gerade in einen der Lehnsessel setzen, als ein Page vor ihm stehen blieb.
Justins Nackenhaare richteten sich auf. Daran hatte er nicht gedacht. Aber natürlich konnte ihn jede Frau auswählen, die durch die Gucklöcher in den Saal spähte. Und eine Ablehnung stand vermutlich nicht zur Debatte.
Der
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