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Flucht aus dem Harem

Flucht aus dem Harem

Titel: Flucht aus dem Harem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daria Charon
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das Korsett ausziehen sollte. Er sah die Bänder, er sah die Ösen, und wenn er ein Messer gehabt hätte, wäre sein Problem keines gewesen, aber er hatte weder ein Messer noch eine Idee, wie er nun vorgehen sollte.
Er kniete sich über Leila und schob ihr Haar beiseite. Am oberen Ende der Verschnürung entdeckte er endlich die Schlaufen, mit denen das Ganze fixiert war. Er zog daran, und zu seiner Erleichterung glitten die obersten Bänder wie von Zauberhand durch die Ösen. Die Haut, die der Stoff freilegte trug die Druckstellen der Korsettstäbe. Fassungslos strich er mit den Fingerspitzen über das geschundene Fleisch. „Das ist ja barbarisch.“
Sie blickte sich über die Schulter. „Barbarischer als einen Jungen zehn Jahre lang in Einzelhaft zu halten?“
Er hob den Kopf und sah sie an. Als sie begriff, dass sie sich unwiderruflich verraten hatte, presste sie ihre Lippen zusammen.
„Nimm die Maske ab“, befahl er tonlos. „Du brauchst sie nicht mehr.“
Leila richtete sich ein wenig auf, während Justin die Korsettbänder aus den Ösen zog. Das Geräusch, das sie dabei verursachten, klang in der Stille scharf wie Peitschenschläge.
Nach einigem Zögern legte sie schließlich die Maske auf das Kopfkissen. „Es ist einfacher, wenn es etwas gibt, hinter dem man sich verstecken kann.“
„Das tust du ja noch immer.“
Sie senkte den Kopf. „Was willst du hören?“
„Die Wahrheit.“
„Die Wahrheit hängt vom Standpunkt des Betrachters ab.“
„Dann erzähl mir deine.“ Die Bänder waren nun vollständig gelöst. Die beiden Hälften des Korsetts fielen aufs Bett und boten ihren nackten Rücken seinen Blicken dar. Ohne nachzudenken begann er die geschundene Haut zu streicheln.
„Und wo soll ich anfangen?“ Die Resignation in ihrer Stimme war unüberhörbar.
„Was ist mit unserem Kind passiert?“ Nächtelang hatte er sie in ihrem Blut liegen sehen, in einer stickigen Kammer, in der sich eine Hebamme damit abmühte, sie von ihrer ungewollten Last zu befreien. Oder halb verhungert am Straßenrand, mit einem aufgeschwollenen Bauch. Oder in einem Bordell, wo sie die Wünsche ganz speziell veranlagter Kunden erfüllte.
„Es gab kein Kind“, sagte sie leise. „Ich habe mich geirrt, als ich annahm, guter Hoffnung zu sein. Meine Blutung setzte an jenem Morgen ein, als wir in London eintrafen. Daher gab es keinen Grund, bei dir zu bleiben.“
„Also bist du einfach gegangen, ohne ein Wort darüber zu verlieren.“ Er stieg über sie und streckte sie neben ihr aus.
Sie starrte weiter auf das Kissen. „Es gab nichts mehr zu sagen. Ich habe meinen Teil des Pakts eingehalten. Du hast für dein Schweigen bekommen, was du wolltest.“
„Habe ich das?“
„Ja, das hast du.“ Jetzt drehte sie sich doch zu ihm. „Und nachdem, was mir zu Ohren gekommen ist, hast du keine Nacht ausgelassen, deine erlernten Fähigkeiten zu perfektionieren.“
Ihr Haar verhüllte ihre Brüste. Er streckte die Hand aus, um die Strähnen so zu arrangieren, dass ihre rosige Brustwarze neugierig hervorlugte.
„Wie viele waren es nach mir?“ Ihre Stimme zitterte unmerklich, aber ihm entging es trotzdem nicht.
Ohne sein Tun zu unterbrechen, entgegnete er: „Du würdest mir nicht glauben.“
Sie griff nach seiner Hand und hielt sie fest. „Das käme auf den Versuch an.“
Ihre Augen blickten ihn unverwandt an, und wie immer begann er sich in den violetten Tiefen zu verlieren. „Keine.“
„Keine?“, wiederholte sie ungläubig. „Aber man erzählt sich, dass du mehr Nächte in den Bordellen der Stadt als in deinem Haus verbringst.“
„Dem kann ich auch nicht widersprechen.“ Er wand seine Hand aus ihrem Griff. „Und doch habe ich in meinem Leben nur mit einer einzigen Frau geschlafen. Mit der Frau, die ich heiraten wollte, mit der Frau, die Mutter meiner Kinder sein sollte.“
Sie sah ihn so verständnislos an, dass er ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. „Ich habe dich gesucht, Leila. Ich dachte, du bist vielleicht in einem Bordell untergekommen. Darum ging ich hin, und um unangenehmen Fragen auszuweichen, verbrachte ich die Nacht dort. Schlafend. Meist alleine.“
„Du hast mich in den Bordellen von London gesucht?“ Fassungslosigkeit schwang in ihrer Stimme.
„Ja.“ Sein Lächeln erstarb. „Ich suchte dich auch in den Hafenkneipen und Pubs, ich habe nahezu jeden Stein in London umgedreht, um dich zu finden. Schließlich konnte ich ja nicht ahnen, dass du keine osmanische Sklavin, sondern die Witwe eines

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