Flucht aus Katmandu
als er zurückkam, ging ich ganz aufgeregt zu George. »Ha«, sag' ich, »willst du hören, was wir getan haben?«
»Ich weiß, was wir getan haben«, sagte er düster.
»Aber willst du nicht darüber in der International Herald Tribüne lesen?«
»Was?«
Ich hielt ihm die zerfledderten Ausgaben der Zeitungen hin, die der Colonel mitgebracht hatte. »Sieht so aus, als hätte es ein paar Mißverständnisse gegeben«, sagte ich, während George von seinem Felsen glitt und sich die Zeitungen schnappte.
Die erste stammte vom 29. Juli, drei Tage nach unseren Überfällen. Auf einer der hinteren Seiten stand ein kleiner Artikel mit der Überschrift ›Nepal protestiert gegen angebliche Grenzverletzung der Chinesen‹, und die Überschrift gab den Bericht im großen und ganzen treffend wieder.
Schon am nächsten Tag war die Affäre auf die Titelseite befördert worden – »Beijing beschuldigt Indien des Angriffs auf Tibet« stand da über einem ziemlich umfangreichen Artikel, der die gegenseitigen Anklagen und Beschuldigungen der beiden Länder wiedergab. Anscheinend waren die Chinesen der Meinung, der Angriff auf ihren Grenzposten sei von der indischen Spezialgrenztruppe durchgeführt worden, die dabei Nepal durchquert hatte, damit kein Verdacht auf sie fiel. Und die Inder waren der Meinung, der ganze Vorwurf sei eine Lüge, um von einem chinesischen Angriff auf Nepal abzulenken, den sie, da Nepal auf ihrer Seite des Himalaja lag, für eine Bedrohung ihrer ureigenen Sicherheit hielten.
So weit, so gut. Doch bei der Tribbie vom 2. August fand sich oben auf der ersten Seite die breite Überschrift: TRUPPENMASSIERUNG AN DER CHINESISCH-INDISCHEN GRENZE.
»Oh, mein Gott«, sagte George, während er den Artikel überflog, und er sagte es immer und immer wieder, mit immer höherer Stimme.
Ein guter Teil der ersten Seite war diesem Artikel und damit zusammenhängenden Begleitartikeln gewidmet; sie beschrieben das Verschwinden des DMZ an der indisch-chinesischen Grenze in Kaschmir, den unerwarteten Aufmarsch indischer Truppen in Sikkim und auch, daß die Pakistani die Inder gewarnt hatten, sich nicht mit ihren Kumpels, den Chinesen, anzulegen, während die Sowjets die Chinesen gewarnt hatten, sich nicht mit ihren Kumpels, den Indern, anzulegen. »Oh, mein Gott«, sagte George immer wieder.
Und die Zeitung des nächsten Tages bestand praktisch ausschließlich aus der Grenzkrise, alles mit großen Überschriften, und auch, wenn man die Tatsache berücksichtigte, daß es sich um die in Hongkong erscheinende Ausgabe der Trib handelte, die großen Wert auf die Berichterstattung über asiatische Angelegenheiten legte, mußte man eingestehen, daß es sich um eine bedeutende internationale Krise handelte. Es wurden Zusammenstöße zwischen indischen und chinesischen und indischen und pakistanischen Truppen gemeldet, einige davon wirklich ernst. Und amerikanische Satellitenfotos zeigten massive Truppenaufmärsche an der sowjetischchinesischen Grenze.
»Oh, mein GOTT«, sagte George. »Wo ist der nächste Tag? Wo ist der nächste Tag?«
»Mehr hat der Colonel nicht mitgebracht.«
»Was? Er fuhr mitten in dieser Krise ab? Ohne jemandem zu sagen, daß wir sie angezettelt haben? Wie lange ist das her?« Er sah auf das Datum. »Fünf Tage! Oh, mein Gott.«
Er lief zum Dorf zurück und schimpfte Colonel John einen ausgemachten Vollidioten. »Verdammt, vielleicht haben wir gerade den Dritten Weltkrieg ausgelöst!« schrie er ihn an.
Es stellte sich heraus, daß dem Colonel das ziemlich egal war. Er war der Auffassung, daß der Dritte Weltkrieg eine der wenigen Möglichkeiten war, wie Tibet das chinesische Joch abschütteln konnte, und wenn dazu eben ein Dritter Weltkrieg nötig war, hatte John nichts dagegen.
George nahm ihn dafür auseinander. »Was würde der Manjushri Rimpoche sagen, wenn Sie ihm das erzählen? Er würde Sie sofort aus diesem Tal werfen!«
Was wahrscheinlich zutraf. Doch der Colonel schob nur trotzig die Unterlippe hervor. Er wußte ganz genau, daß der Rimpoche ihm wegen dieser selbstsüchtigen Einstellung einen Tritt in den Arsch geben würde, aber er würde nicht lügen – und das war eben seine Meinung. Wenn die Welt keinen himmelschreienden Völkermord beenden konnte, dann eben zum Teufel mit ihr. Sollten sie doch Atombomben fressen.
George war so wütend, daß er nichts mehr sagen konnte. Er ging zu einer der grasbewachsenen Steinwände, die die Dorfstraße umsäumten, und trat so heftig dagegen, daß
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