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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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wußte, und lügen, ganz gleich, wie sehr es dieser Freundschaft schadete, und ganz gleich, wie sehr es schmerzte. Als wir also J- erreichten, verabschiedete ich mich von ihnen. Ich war mir ziemlich sicher, daß der Geldmangel, unter dem die Zoologie krankt, sie eine ganze Weile von hier fernhalten würde; das war also kein Problem. Und was Sarah betraf – na ja, verdammt, ich verabschiedete mich etwas vorwurfsvoll von ihr. Und ich fuhr per Anhalter nach Katmandu, anstatt zu fliegen, um von ihr fortzukommen und die Dinge etwas abkühlen zu lassen.
    Die Nächte auf dieser Fahrt waren so lang, daß ich mich schließlich entschloß, Dir diesen Brief zu schreiben, um mich zu beschäftigen. Ich habe auch gehofft, es würde mir helfen, das alles niederzuschreiben, doch in Wirklichkeit habe ich mich nie einsamer gefühlt. Die Vorstellung, wie Du über meine Geschichte durchdrehst, ist mir ein Trost – ich kann mir bildlich vorstellen, wie Du durchs Zimmer springst und aus voller Lunge brüllst: »DU WILLST MICH VERARSCHEN!«, wie Du es früher immer getan hast. Ich hoffe, Dir alle fehlenden Details persönlich mitteilen zu können, wenn ich Dich diesen Herbst in Katmandu sehe. Bis dahin

    Dein Freund Nathan

3

    Tja, alle Wetter! Der Brief war ein absoluter Hammer. Ich blätterte zur ersten Seite zurück und schickte mich an, das ganze Ding noch einmal zu lesen, sprang aber schnell zu den interessanten Teilen weiter. Eine Begegnung mit dem berühmten Schneemann! Was für ein Ereignis! Natürlich hatte dieser Nathan nur sein »Harn« herausbringen können. Doch unter diesen ungewöhnlichen Umständen hatte er wohl sein Bestes gegeben.
    Ich hatte immer schon mal einen Yeti sehen wollen. An unzähligen Morgen im Himalaja war ich vor dem Licht der ersten Dämmerung aufgestanden und hinausgegangen, um zu sehen, wie der Tag werden würde, und fast jedesmal, besonders in den Hochwäldern, hatte ich mich umgesehen und gefragt, ob dieses Zucken in den Winkeln meiner schlafverkrusteten Augen nicht etwas Abscheuliches gewesen war, das sich bewegt hatte.
    Soweit ich wußte, hatte sich nie etwas bewegt. Und ich war ein wenig neidisch auf diesen Nathan und sein gewaltiges Glück. Warum hatte sich dieser Yeti, Mitglied der scheuesten Rasse in Zentralasien, sich in seiner Gegenwart so entspannt gefühlt? Über dieses Geheimnis dachte ich den nächsten Tagen unentwegt nacht, während ich meinen Geschäften nachging. Und ich wünschte mir, irgendwie mehr als nur das tun zu können. Ich suchte im Gästebuch des Star sowohl nach Nathan als auch nach George Fredericks und fand Nathans perfekte kleine Unterschrift Mitte Juni, aber keine Spur von George oder Freds, wie Nathan ihn nannte. Der Brief deutete an, daß er in diesem Herbst in der Nähe sein würde. Aber wo?
    Dann mußte ich ein paar tibetanische Teppiche in die Staaten verschicken, und meine Gesellschaft wollte, daß ich drei ›Videotrekkings‹ mit dem Tourismusministerium absprach, und gleichzeitig kam die Einwanderungsbehörde zum Schluß, ich sei lange genug in diesem Land gewesen; und sich in dieser Stadt, in der das Aufgeben eines Briefes einen ganzen Tag dauern kann, mit solchen Angelegenheiten abzugeben, nimmt einen ganz schön in Beschlag. Ich hätte den Brief beinahe vergessen.
    Doch als ich eines sonnigen blauen Nachmittags ins Star zurückkehrte und sah, daß jemand wie ein Berserker mit dem Postregal umgesprungen war, es heruntergenommen und die armen Papierleichen über die erste ganze erste Treppenflucht ausgebreitet hatte, glaubte ich zu wissen, wo sein Problem lag. Ich war verblüfft, vielleicht sogar ein wenig schuldbewußt, aber keineswegs unangenehm berührt. Ich erstickte den kleinen Funken der Schuld und schritt an den beiden Portiers vorbei, die in schnellem Nepalesisch protestierten. »Kann ich Ihnen suchen helfen?« sagte ich zu der Person, die das Chaos verursacht hatte.
    Der Mann richtete sich auf und sah mir geradewegs in die Augen. Ein ganz und gar direkter Typ. »Ich suche nach einem Freund von mir, der normalerweise immer hier absteigt.« Er war noch nicht in Panik, stand aber kurz davor. »Der Portier sagt, er sei seit einem Jahr nicht mehr hier gewesen, doch ich habe ihm diesen Sommer einen Brief geschickt, und der ist nicht mehr da.«
    Kontakt! »Vielleicht ist er vorbeigekommen«, sagte ich, ohne mit der Wimper zu zucken, »und hat den Brief abgeholt, ohne sich hier ein Zimmer zu nehmen.«
    Er zuckte zusammen, als hätte ich ihm einen Messerstich

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