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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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folgten diesem Gang und bemerkten kleine, in den Fels geschlagene Kammern; bei einigen waren die Mauern mit Bronze, bei anderen mit Silber überzogen, und bei einer anscheinend sogar mit reinem Gold.
    Freds führte uns in diese letzte. Wände, Boden und Decke waren gebogen, so daß wir den Eindruck hatten, uns in einem riesigen Ei zu befinden. Das Licht der Lampe schimmerte auf dem weichen gelben Metall, das uns umgab. Es war mit tibetanischen Buchstaben überzogen, die immer und immer wieder den Satz Om Mani Padme Hum bildeten, so daß die Oberfläche der Kammer über und über damit bedeckt waren. Die winzigen eingeschlagenen Buchstaben schienen schwarz oder bronzefarben oder dunkelgelb oder sogar weiß zu sein, je nachdem, wie das Licht auf sie fiel. Om Mani Padme Hum, das Juwel im Herzen des Lotus – und dort schienen wir uns tatsächlich zu befinden, im Juwel selbst.
    »Eine Einsiedlerklause«, sagte Freds nüchtern. »Padma Sambhava, der Guru, der den Buddhismus nach Tibet brachte, kam einmal hier hinab. Es heißt, die Wände verwandelten sich in Gold, als er wieder ging. Die Schriftzeichen befanden sich schon darauf.«
    Nathan und Sarah sahen sich um, und ihre Münder klafften auf wie die von Fischen in der Luft. Zweifellos war es bei mir nicht viel anders.
    Das Zentrum des Tunnelsystems, fuhr Freds fort, befand sich in Shambhala, und von dort aus führte es in alle Richtungen. »Es liegt nicht nur unter dem Himalaja«, sagte er, »und es führt nicht nur hierher nach Katmandu. Es ist Tausende von Jahren alt und sehr wichtig für Shambhala – ihr wißt schon, wenn es darum geht, den Lauf der Dinge zu beeinflussen und die Welt vor der Selbstzerstörung zu bewahren.«
    Ich sah, wie Nathan und Sarah versuchten, diese Neuigkeiten zu verdauen, was ihnen nur teilweise gelang. Selbst mir, der ich den Vorteil hatte, Shambhala besucht und zahlreiche Kilometer in dem Tunnelsystem zurückgelegt zu haben, fiel es nicht ganz leicht, und für sie war es noch viel schwerer. Ich trat an eine Wand und fuhr mit den Fingerspitzen über die Buchstaben. Das Metall war kalt, die geschwungenen Buchstaben in Basrelief gehalten, die Ränder der Buchstaben mit winzigen Vertiefungen. Als ich die Wand berührte, glaubte ich, eine leichte Schwingung zu spüren. Die Flamme in der Lampe flackerte, die Wände zitterten ganz leicht, und es lag ein kaum wahrnehmbares Summen in der Luft; man konnte gerade eben die vor Menschen wimmelnde Stadt Katmandu mit ihrem pulsierenden Leben über unseren Köpfen erahnen.

8

    »Hör zu, Freds«, sagte Nathan, nachdem wir unbehelligt in mein Zimmer im Star zurückgekehrt waren – und nachdem er Gelegenheit gehabt hatte, sich etwas von diesem Erlebnis zu erholen. »Diese Tunnel sind sehr interessant, und ich bin sicher, daß die Archäologen von ihnen fasziniert sein werden. Aber man darf nicht zulassen, daß sich wegen ihnen die Lebensumstände der Menschen, die heute hier wohnen, nicht verbessern. Da muß man strenge Prioritäten setzen. Ich meine, klar, diese vergoldete Höhle ist beeindruckend, aber es spielt wirklich keine Rolle, wo sich dieser Padma-wie-auch-immer vor Tausenden von Jahren versteckt hat. Wichtig ist nur, daß die Menschen, die heute in der Stadt wohnen, ein besseres Leben führen können! Eine vernünftige Kanalisation ist ein winziger Schritt in diese Richtung, ich meine, ohne Abwasserkanäle leben sie in ihrem eigenen Dreck, und unter diesen Umständen ist es unmöglich, Krankheiten zu vermeiden. Die Kanalisation muß gebaut werden!« Er wandte sich an mich. »George, du mußt uns helfen, diese letzte Hürde im Sekretariat zu nehmen.«
    »He, nein!« sagte Freds, griff über das Bett und schüttelte mich am Arm. »Du mußt mir helfen, das Projekt endgültig zu Fall zu bringen! Diese Tunnel sind nicht nur uralte Geschichte«, beharrte er. »Sie werden noch immer benutzt und führen direkt nach Shambhala, und wenn die Leute jetzt zu graben anfangen und über sie stolpern, werden sie in sie eindringen und ihnen bis nach Shambhala folgen und auch Shambhala entdecken, und alles, was wir in diesem Sommer getan haben, um das Tal zu retten, war vergebens! Nathan versteht einfach nicht, was das bedeutet.«
    »Ich verstehe es sehr wohl«, sagte Nathan. »Aber es kommt darauf an, den Menschen in der Stadt zu helfen. Ihr wißt doch, wie es ohne Kanalisation unter den Straßen aussieht – die Straßen selbst sind die Abwasserkanäle.«
    »Das stimmt«, sagte ich.
    Und Nathan nickte, und Freds

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