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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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schüttelte den Kopf und sagte: »Komm schon, George, vergiß das Tal nicht!«, und Sarah sah mich mit großen Augen hinter ihren Brillengläsern an. Freds und Nathan stritten miteinander, bis sie ziemlich in Rage gerieten. Sarah versuchte, sie zu beruhigen; sie funkelten einander an und hatten die Stimmen gehoben.
    Sie brachte die beiden dazu, mit dem Streit aufzuhören, und dann starrten beide mich an, eindringlich, als schlüge ich mich lieber auf ihre Seite. Als sei alles eigentlich in erster Linie meine Schuld.
    »He«, sagte ich und hob die Hände. »Seht mich nicht so an.«
    »Du hast dem Tal viel gegeben«, sagte Freds hitzig zu mir.
    »Du weißt ganz genau, daß sie eine Kanalisation brauchen oder immer unter Krankheiten leiden werden«, sagte Nathan mit ernstem Blick.
    »Das stimmt.«
    Und ich argumentierte mit ihnen, bis sie beide wütend auf mich waren. Sie konnten meine Wischiwaschi-Einstellung nicht ertragen. Aber ich wollte mich nicht entscheiden. Oder konnte es nicht. Sie waren beide meine Freunde, und beide Ansichten hatten etwas für sich. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich tun sollte. Nur die, sie für eine Weile zu bremsen, während ich versuchte, mir etwas einfallen zu lassen. Und so tat ich das, und sie waren beide äußerst sauer auf mich.

9

    Endlich brachen sie auf, und ich ging zu Bett und war schon tief in Morpheus' Reich eingedrungen, als Freds mich gegen die Wand rollte und sich neben mir auf das Bett setzte. Er steckte mir eine angezündete Haschpfeife in den Mund und atmete schwer. »Mach dich fertig, Bruder, wir müssen noch eine Reise zum Mittelpunkt der Erde antreten.«
    »Was?« Ich stieß ihn zurück, und kleine glimmende Haschklumpen fielen aus seiner Pfeife und ergossen sich über mich und das Bett, glüten wie winzige Briketts und qualmten heftig. Als wir aufgesprungen waran und sie alle ausgeschlagen hatten, war mein einziges Bettuch ruiniert, doch ich war hellwach und einigermaßen stoned, so daß Freds wohl zufrieden war.
    »Freds, verdammt! Wie spät ist es?«
    »Zeit für den Aufbruch, Bruder. Ich muß dir einige Teile der heiligen Tunnels zeigen, die Nathan und Sarah nicht sehen durften.«
    »Jetzt?«
    »Ja, komm schon. Ein echtes Abenteuer, dir wird es gefallen.«
    »Ich hasse deine Abenteuer, Freds.«
    »Dieses nicht. Komm, du wirst schon sehen.«
    Also zog ich Hemd und Hosen an und band benommen meine Schnürsenkel zu, und wir waren unterwegs, gingen durch die leeren Straßen Thamels und in die kleine Gasse und zu Yongtens Laden. Er war verrammelt und verriegelt, doch als Freds an die Tür klopfte, öffnete Yongten uns; wie die meisten Einwohner Katmandus schlief er an seiner Arbeitsstätte, auf einer harten Pritsche rechts neben Rollen dicker Teppiche. Er schien nicht überrascht zu sein, uns zu sehen, und redete auf Tibetanisch lange auf Freds ein, bevor er uns in das Hinterzimmer winkte. Dort bekamen wir zwei Taschenlampen statt der Coleman-Lampe und folgten dem schmalen Weg zu der niedrigen Tür und den Tunnels darunter.
    Im Licht der Taschenlampen war es da unten unheimlich. Wann immer wir sie von den groben Steinen unter unseren Füßen nahmen, schwankten die Lichtstrahlen in der Dunkelheit hierhin und dorthin und erhellten Dinge, die ich im ruhigeren Schein der Coleman-Lampe nicht gesehen hatte: einen massiven Holzbalken über einer Kreuzung, geschnitzt und mit einem komplizierten roten, grünen und gelben Muster angestrichen; ein schnaubendes blaues Dämonengesicht mit Glotzaugen am Ende einer Sackgasse; einen dicken, spiralenförmigen Silberpfosten; und überall unerwartete Tiefen, in denen der Lichtstrahl der Taschenlampe gar nichts berührte, bevor er in der Dunkelheit verschwand. Große Höhlen, endlose Tunnels – ich blieb dicht hinter Freds und hoffte, daß die Batterien meiner Taschenlampe länger reichen würden als die übliche halbe Stunde, die diesen indischen Exemplaren zueigen waren, denn wenn ich Freds irgendwie verlieren sollte, würde ich nie mehr den Rückweg finden.
    Als wir die Treppe zu der Höhle hinabgingen, blieb Freds plötzlich stehen. »George, du trittst mir in die Waden.«
    »Oh. Tut mir leid.«
    »Hier. Wir müssen den nördlichen Gang nehmen.«
    Wir marschierten weiter, anscheinend stundenlang, obwohl es in Wirklichkeit wohl nur zwanzig Minuten gewesen waren. Wir gingen an Räumen und Nischen zu beiden Seiten vorbei, und wenn ich mit der Taschenlampe hineinleuchtete, enthüllten sie die harten Farben von Mandalas oder

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