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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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welcher Seite man ihn auch angeht, und sie waren auf ihre eigene Art ganz aus dem Häuschen: »War schon ein ganz schöner Brocken, um die Wahrheit zu sagen«, meinte Trevor fröhlich.
    Wenn englische Bergsteiger über das Bergsteigen sprechen, muß man wissen, wie man ihre Worte zu übersetzen hat. »Ein ganz schöner Brocken« bedeutet: meidet den Berg.
    »Ich meine, wir sollten statt dessen den Pumori ersteigen«, sagte Marion. »Der Lingtren ist ein perfekter Hügel.«
    »Also wirklich, Marion.«
    »Kommt sowieso nicht gegen den Preis für den Lingtren an«, sagte John.
    Er bezog sich auf die Gebühr, die die nepalesische Regierung von den Bergsteigern für das Recht erhebt, den Gipfel zu besteigen. Diese Gebühren richten sich nach der Höhe des zu besteigenden Gipfels – die wirklich hohen Berge sind überaus kostspielig. Sie berechnet einem für den Everest zum Beispiel über fünftausend Dollar, und trotzdem wetteifern jede Menge Leute darum, auf die lange Warteliste zu kommen. Aber einige der schwierigsten Gipfel in Nepal sind im Vergleich zu den Riesen nicht besonders hoch und kommen ziemlich billig. Anscheinend gehörte der Lingtren dazu.
    Wir beobachteten die Sherpani, die in der Küche der Lodge Abendessen für fünfzig Personen kochte, und zwar unter den starren Blicken der Gäste, die hungrig jede ihrer Bewegungen verfolgten. Dazu hatte sie einen kleinen Holzofen zur Verfügung (mit Kamin, Gott sei dank), einen Berg Kartoffeln, Nudeln, Reis, ein paar Eier und Kohlköpfe und mehrere changtrunkene Träger als Helfer, die abwechselnd Geschirr spülten oder große Brocken Yakmist für das Feuer zerbrachen. Auf den ersten Blick eine schwierige Aufgabe, doch die Sherpani war ganz gelassen: sie kochte die ganze Liste der Bestellungen aus dem Gedächtnis, schnitt Kartoffeln in Scheiben und warf sie in eine Pfanne, legte Holz nach, warf zwanzig Pfund Nudeln durch die Luft, als seien sie nur ein Pfannkuchen – und das alles mit der Sicherheit und Großtuerei eines erfahrenen Jongleurs. Sie hatte eine geniale Begabung.
    Als zwei Stunden später die Gäste, die die Gerichte bestellt hatten, die in ihrer strengen Reihenfolge zum Schluß kamen, ihre Kohlomelettes auf Pommes frites bekamen, leerte sich die Küche bereits; die ersten Gäste gingen zu Bett. Wir anderen machten es uns bei mehr Chang und Geplauder gemütlich.
    Dann kam ein Trekker in die Küche zurück, damit er sein Kurzwellenradio hören konnte, ohne die Schläfer im einzigen Schlafsaal der Lodge zu stören. Er sagte, er müsse die Nachrichten hören. Wir alle starrten ihn ungläubig an. »Ich muß wissen, was der Dollar macht«, erklärte er. »Habt ihr gewußt, daß er letzte Woche um acht Prozent gefallen ist?«
    Man trifft alle möglichen Leute in Nepal.
    In der Tat ist es im Himalaja sehr interessant, die Kurzwelle zu hören, denn je nachdem, wie es um die Ionosphäre steht, bekommt man fast alle Sender herein. An diesem Abend hörten wir zum Beispiel die Stimme des Syrischen Volkes und ein paar Popsängerinnen aus Bombay, die die Träger wirklich anmachten. Dann schaltete der Radiobesitzer die BBC-Weltnachrichten ein, was nicht ungewöhnlich war – sie kamen vielleicht aus Hongkong, Singapur, Kairo oder sogar London selbst.
    Im statischen Rauschen war die gebildete Stimme des Sprechers kaum verständlich. »… britische Everest-Expedition von 1986 ist jetzt auf dem Rongbuk-Gletscher in Tibet und wird im Verlauf der beiden nächsten Monate der historischen Route folgen, die die Expeditionen der zwanziger und dreißiger Jahre eingeschlagen haben. Unser Korrespondent der Expedition berichtet …« Und dann war die Stimme kaum noch verständlich und ertrank im Rauschen: «… wichtigstes Ziel der Expedition, die Leichen von Mallory und Irvine, die 1924 zum letzten Mal in der Nähe des Gipfels gesehen wurden … knister, summ … Chancen beträchtlich verbessert durch Gespräche mit einem Teilnehmer der chinesischen Expedition, die angeblich 1980 auf der Nordwand eine Leiche gesehen hat … bzzzzkrkrkr! … Beschreibung des Fundortes sssssssss … Schneegrenze dieses Jahr sehr tief, und alle Betroffenen halten die Erfolgsaussichten für sssskrkssss.« Die Stimme ging in einem ohrenbetäubenden Rauschen unter.
    Trevor musterte uns mit gerunzelter Stirn. »Habe ich richtig gehört, daß sie nach Mallorys und Irvines Leichen suchen wollen?«
    Ein Ausdruck tiefen Schreckens legte sich auf Mad Toms Gesicht. Marion rümpfte die Nase, als ob das Chang

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