Flucht aus Katmandu
August, mitten in einem schlimmen Monsun, doch wir wußten damals noch nicht einmal, daß es eine Trekking- und Nicht-Trekking-Saison gab, und die Ladenbesitzer freuten sich natürlich, uns Ausrüstungen vermieten zu können, und so nahmen wir den Bus nach Lamosangu, um von da aus zum Everest zu trekken. Natürlich war es ständig bewölkt, und die Wege waren überschwemmt, und wir nahmen die falsche Nahrung zu uns und tranken das Wasser aus den Bächen, das so klar und sauber aussah, und so wurden wir schrecklich krank. Wir waren über und über von Blutegeln befallen, und irgendwie hatten wir den Eindruck, daß uns der Reiz dieses »Trekking« irgendwie entging. Ich meine, wir waren so unwissend, daß wir glaubten, die Einheimischen würden ›Money-Mauern‹, also ›Geldmauern‹, sagen, wenn sie ›Mani-Mauern‹ sagten, und jedesmal, wenn wir an einer Mani-Mauer vorbeigingen, dachten wir, wir würden an der Dorfbank vorbeigehen, und jeder Stein sei ein Tausend-Dollar-Schein oder sowas, und wir dachten, sie hätten sich eine sehr clevere Möglichkeit einfallen lassen, einen Bankraub unmöglich zu machen, nur, daß wir uns auch unsere Gedanken machten, nachdem wir an einer Mauer nach der anderen vorbeigekommen waren, und wir uns schließlich fragten, weshalb sich diese Leute keine Toiletten kauften, wenn sie doch soviel Geld hatten. Was natürlich dumm ist, wenn man richtig darüber nachdenkt, doch wir wanderten einfach weiter, krank wie die Hunde, aber entschlossen, den Everest zu sehen oder bei dem Versuch zu sterben, und allmählich bekamen wir den Eindruck, es würde sehr knapp ausgehen.
Doch eines Morgens stand ich früh auf, um draußen zu pinkeln, und als ich aus dem Teehaus kam, waren alle Wolken verschwunden. Es war das erste Mal, daß sie uns nicht buchstäblich um die Nasen hingen. Bislang hatten wir nicht über unsere Kapuzenspitzen hinaussehen können und waren durch Nebel und Wald marschiert, als befänden wir uns im dichtesten Amazonas, und hatten nicht die geringste Ahnung gehabt, was um uns herum war. Als ich also an diesem Morgen aus der Tür trat, hatte ich den Himalaja noch nie richtig gesehen. Ich stamme aus Arkansas. Ich glaube, jeder stellt sich nach dem, was er zu Hause in seiner Kindheit gesehen hat, vor, wie groß die Dinge sind, und wo ich herkam, waren die Täler nicht größer als eine Farm, die Flüsse Bäche, die man fast überall durchwaten konnte, und die Berge Hügel, die bestenfalls vielleicht hundert Meter hoch waren. Die Landschaft hatte einen gewissen Maßstab, und für mich mußte es überall so sein; das war die natürliche Ordnung, daran war ich gewöhnt. Als ich also am Dudh Kosi aus diesem Teehaus trat und mich blinzelnd im Licht der Dämmerung umsah, tief hinab in diesen gewaltigen Riß in der Welt, der anscheinend ein Tal war, das zu durchwandern wenigstens einen Tag und hinaufzusteigen eine Woche dauern würde – und dann, als ich hinter diesem fast zwei Kilometer tiefen Tal stand und hoch, hoch, hoch darüber diese gewaltigen, spitzen, schneebedeckten Felstürme sah, die offensichtlich unglaublich hohe Berge waren …! Na ja, wenn ich nicht die Zähne zusammengebissen hätte, wäre mir das Herz glattweg aus dem Mund gesprungen. Und seit diesem Tag habe ich den Himalaja nie wieder verlassen.
Das erklärt natürlich nicht ganz, wie ich zu einem tibetanischen buddhistischen Mönch geworden bin, doch wenn ich die ganze Geschichte erzählen würde, wie ich Kunga Korbu traf, sein Schüler wurde und in Tibet untertauchte, würde ich ewig brauchen, und außerdem schielte George schon nach innen, während ich ihm all das über meine Vergangenheit erzählte. Er war mit dem Essen fertig, und so winkte er mit der Hand und unterbrach mich.
»Shambhala, Freds, Shambhala. Du wolltest mir von Shambhala erzählen.«
»Ja, das tu ich doch.«
»Du könntest mich dorthin führen?«
»Klar. Willst du es dir mal ansehen?«
»Ob ich Shambhala besuchen will? Ob ich Shangri-La sehen will? Verdammt, warum hast du das nicht von vornherein gesagt?«
»Weil es nicht darum geht, Shangri-La zu besuchen. Es geht darum, Shangri-La zu retten, und das muß hier geschehen. Außerdem hättest du mir nicht geglaubt, wenn ich dich einfach aus heiterem Himmel gefragt hätte, ob du Shambhala besuchen willst.«
»Ich glaube dir immer noch nicht, Freds. Aber wir haben Monsunzeit. Ich habe nichts Besseres zu tun. Und wenn du recht behältst … tja …« Er grinste. »Du bringst mich dorthin und
Weitere Kostenlose Bücher