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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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ausgelöscht wurde, einem so dichten Regen, daß es den Anschein hatte, Gott habe den Indischen Ozean ausgeschöpft und leere die Kelle nun auf uns. Ein typischer Monsun-Nachmittag. Ich glaube nicht, daß der Fahrer über die Windschutzscheibe hinaus sehen konnte, doch er beugte sich einfach etwas vor und fuhr mit unveränderter Geschwindigkeit weiter.
    Danach konnte man nur noch meditieren oder die Geschicklichkeit des Fahrers bewundern, der blindlings gewaltigen Schlaglöchern auswich und den Bus über Erdrutsche führte, die die ganze Straße unter sich begraben hatten. Solche Erdrutsche wurden niemals abgetragen; man fuhr einfach so oft über sie hinweg, bis eine neue, wenn auch holprige und schiefe, Spur entstanden war. Doch unser Fahrer fuhr im Schrittempo darüber hinweg und nutzte jede Unebenheit aus, um nicht stehenzubleiben, wobei der Motor sich etwa genauso schnell drehte wie die Räder, und jedesmal prallten wir wieder sicher auf die wirkliche Straße auf und setzten den Weg mit unserer Höchstgeschwindigkeit von etwa vierzig Stundenkilometern fort.

    Als unsere Blasen allmählich zu ex- und unsere Gehirne zu implodieren drohten, hielten wir an einem an der Straße liegenden Dorf an. Die Dorfbewohner drängten sich um den Bus, um uns zu begrüßen, und wir brachen wie Footballstürmer durch ihre Reihen und liefen in beide Richtungen die Straße entlang zu den Enden des Dorfs, um uns zu erleichtern. George und ich und die Schweizer wurden von den Kindern des Dorfes besonders dicht belagert, und als wir in die Büsche pinkelten, kicherte eine beträchtliche Zuschauerschaft über unsere Versuche, nicht in die trostlosen und zahlreichen Verdauungsrückstände der Reisenden zu treten, die vor uns hier gewesen waren. Natürlich hat ein Straßendorf ein wesentlich größeres Feld zum Scheißen als ein typisches Bergdorf, und an Georges Gesichtsausdruck erkannte ich, daß ich ihn nicht eigens auf diese Tatsache hinweisen mußte.
    Wir kehrten zum Dorfplatz zurück und nahmen an einem Tisch unter einem langen Blechdach Platz. Es war nicht allzu viel Raum zwischen der Straße und einem Fluß, und dieses offene Gebäude beanspruchte den größten Teil davon. Die Gebäude an der Straße und den Hügel hinauf waren verlassen worden und standen im Begriff, abgerissen zu werden. Schweigende Frauen servierten uns große Metallplatten mit breiartigem Dhal Baat, und Kinder drangen auf uns ein und bettelten um Geld. Ein Bursche, der vielleicht wie acht aussah, durchaus aber vierzehn sein konnte, rauchte eine handgedrehte Zigarette und sagte immer wieder: »Bonbons? Kippen? Dollar? Kugelschreiber?« Eine Horde jüngerer Kinder jagte ein Schwein von Pfütze zu Pfütze und zog es am Schwanz, bis sie beinahe von einem vorbeibretternden Jeep überfahren worden wären. Dorfbewohner liefen hinaus, um die Insassen zu begrüßen, doch der Jeep hielt nicht an.
    George verzichtete auf sein Dhal Baat und kaufte eine Flasche Limonade und zwei Päckchen Nabico-Waffeln. Das entsprach seiner üblichen kulinarischen Strategie beim Trekking, die er prophylaktische Ernährung nannte. Sie müssen wissen, daß er sich von einer frühen Begegnung mit einem Teller Dhal Baat, bei dem der Reis unzureichend gesäubert war, niemals wirklich erholt hatte; es hatte geschmeckt, als würde man »rohen Schlamm direkt vom Boden fressen«, wie er immer wieder gern erzählte. Danach konnte er das Zeug nicht einmal ansehen, ohne sich übergeben zu müssen, und praktizierte nicht nur prophylaktischen Antibiotikagebrauch, womit gemeint ist, daß er sich täglich ein paar Pillen einschmeißt, um Bakterien zu entmutigen, sich in ihm festzusetzen – sondern auch seine prophylaktische Ernährung, womit gemeint ist, daß er lediglich gekochte Kartoffeln ißt, die er selbst geschält, hartgekochte Eier, die er selbst gepellt, Nebico-Waffeln, die er selbst ausgepackt hat, und Wasser trinkt, das er selbst gefiltert und dreimal jodiert hat. Das hilft zwar nicht, doch er fühlt sich trotzdem besser.
    Also saßen wir da, und George aß seine neutrale Diät, und die Wolken pißten auf uns herab, und die Dorfbewohner standen entweder um einen kleinen Holzofen unter dem Blechdach herum oder liefen hinaus, um ein gelegentlich vorbeikommendes Fahrzeug zu begrüßen, und alles in allem war es wie ein Schauspiel namens ›Die Erniedrigung des nepalesischen Straßendorfs‹, das man eigens für George aufführte, nur, daß es echt war. Straßen werden gebaut, und die Leute

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