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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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ihren dampfenden Schindeldächern, die Yaks, die hier und da in den braunen Kartoffelfeldern wie zottelige schwarze Felsbrocken standen, und es sah aus wie das Mittelalter auf einem kälteren Planeten. Wir hatten den ganzen Tag damit verbracht, Holz zu sammeln, das das Dorf kaum durch die Nacht bringen würde, und Tag für Tag mußten die Leute losziehen und ebenfalls sammeln, wobei sie sich immer weiter vom Dorf entfernen mußten. »Mann«, sagte George und ließ seine Bäume auf den steingepflasterten Stallhof von Lhamos Haus fallen. Er wußte nicht, was er sonst sagen sollte.
    Lhamo hatte eine richtig große Mahlzeit für uns vorbereitet, und wir waren kaputt und am Verhungern, und auch George kam nicht umhin, das Essen in sich hineinzuschaufeln. Er mußte sich nicht mit Dhal Baat abgeben, doch in der Suppe schwamm ein Gemüse, das man in den tieferen Tälern zieht, ein Gemüse, dessen Namen ich nie erfahren habe, doch das an den Pflanzen aussieht wie ein fußballgroßer Eibisch, mit langen, biegsamen Zacken, die überall aus ihr hervorwuchsen. Zerhackt und in der Suppe treibend, war es nicht gerade ein erfreulicher Anblick, wenngleich seine Beschaffenheit in Ordnung war und es kaum Eigengeschmack hatte. Als Beilage gab es ein so scharfes Curry, daß es einem den Gaumen verbrannte, und nach ein paar Versuchen widmete sich George wieder schwitzend seiner Suppe und nippte sogar an seinem Buttertee, der einen ganz eigentümlichen Geschmack hat und ihm Probleme zu bereiten schien. Dieses Getränk war für George, was Scylla und Charybdis für Odysseus gewesen waren, doch er riß sich tapfer zusammen und beendete die Mahlzeit.
    Und so gab er aus Notwendigkeit seine prophylaktische Ernährung auf. Gleichzeitig beobachtete er, wie Kusine Sindu an diesem Abend mit geringem Erfolg versuchte, ihr Baby zu füttern. Und am Morgen grub er in seinem Rucksack und holte seine Antibiotika hervor, eine Fünf-Liter-Ziploc-Tasche voller Pillen. »Freds, wir müssen diesen Leuten helfen«, sagt er. »Ich habe wirklich nicht genug dabei, um allen zu helfen, doch für ein paar wird es schon reichen.«
    »Wir müssen Dr. Choendrak davon erzählen«, sagte ich zu ihm. Also brachten wir die Antibiotika ins Kloster, und George erzählte Dr. Choendrak von ihnen, und er untersuchte die Pillen und beriet sich mit dem Manjushri Rimpoche, dem Führer von Shambhala, und der Rimpoche entschied, daß jedes kranke Kind gleichviel Pillen bekommen würde, womit, nachdem sie es ausgerechnet hatten, vier Pillen pro Kind kamen. Als George das hörte, rief er: »Nein! Das ist zu wenig, um etwas zu nutzen! Damit helfen Sie keinem von ihnen!«
    Dr. Choendrak erklärte ihm, daß ihnen die Wirkungsweise von Antibiotika durchaus bekannt sei, sie jedoch annahmen, daß sie im Zusammenhang mit den Heilpflanzen, die hier wuchsen, doch etwas helfen würden und wichtig sei, dafür zu sorgen, daß jeder Kranke etwas von der abendländischen Medizin bekäme.
    George war furchtbar wütend, doch ich versuchte, ihn zu beruhigen. »Sie versuchen es mit der Plazebo-Theorie, George, und du kannst dir gar nicht so sicher sein, daß das so falsch ist. Diese Antibiotika sind doch sowieso hauptsächlich Plazebos.«
    Er bedachte mich nur mit diesem blinzelnden Blick.
    Also hatte er all seine Antibiotika unter die Leute gebracht, und er aß das Essen, das es hier im Tal gab, was zwar in Ordnung war, aber mit Sicherheit andere Bakterien enthielt als die, die er gewöhnt war. Und so wurde er krank. Die üblichen Beschwerden – Durchfall, Fieber, Appetitlosigkeit, ein allgemeines Unwohlsein. Und er war gelangweilt, reizbar und bedrückt. Drei oder vier Tage, und er würde im Haus glatt verrückt werden, und so schlug ich vor, er solle mit Lhamo und Sindu zum Bach gehen, um Kleider zu waschen.
    Nun habe ich mich hauptsächlich auf die Probleme konzentriert, die Shambhala hatte, und sie waren beträchtlich, doch Shambhala war immer noch Shambhala, mystische Hauptstadt der Welt, und abgesehen vom Kloster Kaiapa, den Lamas und der Geschichte des Ortes gab es hier noch einige andere Besonderheiten. Oben im Hof des Klosters zum Beispiel schoß eine ewige heilige Flamme aus der Bergflanke hinaus, in der Dämmerung oder Dunkelheit ein seltsamer und beeindruckender Anblick, und besonders bei einer Feier. Und auf der Talsohle, in der Nähe der Schlucht, bestand ein ganzes Bachufer aus reinem Türkis; es stach aus dem Berg hervor wie ein Hügel aus versteinertem Himmel und ergoß sich mit

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