Flucht aus Oxford
darüber nachzudenken, was mit ihm geschehen könnte. Wenn ihm tatsächlich etwas passiert, sind wir dafür verantwortlich.«
»Insgeheim hoffe ich, dass Roz recht hat«, sagte Tim. »Mir geht es leider eher wie Kate. Vielleicht sollten wir …«
In diesem Augenblick klingelte das Telefon.
»Beten wir, dass es kein Notfall ist«, sagte Tim und ging an den Apparat.
»Was für ein Notfall?«, flüsterte Kate ihrer Mutter zu. »Eine Nottaufe vielleicht?«
Doch sie verstummten schnell. Tim war sichtlich blass geworden, und seine Stimme drückte Betroffenheit und Schrecken aus.
»Sind Sie sicher, dass niemand etwas weiß?«, fragte er, um gleich darauf hinzuzufügen: »Aber selbstverständlich. Wenn ich irgendwie behilflich sein kann, komme ich natürlich sofort. In fünf Minuten bin ich bei Ihnen.«
Er legte auf. Roz und Kat sahen ihn erwartungsvoll an.
»Man hat eine weitere Leiche gefunden«, sagte er.
»Graham!«, rief Kate.
»Ist es Graham?«, fragte Roz..
»Ich weiß es nicht. Es ist jedenfalls ein Mann, etwa Mitte zwanzig. Die Leiche wurde im Eingangsbereich eines der Mietshäuser in Broombanks entdeckt. Niemand scheint den Toten zu kennen. Jetzt hoffen sie, dass ich weiterhelfen kann, weil ich auch Donna identifiziert habe.«
Während er sprach, zog er sich bereits die Jacke über. »Ich muss gehen«, sagte er. »Ich habe versprochen, sofort zu kommen. Wollen Sie hier warten, bis ich zurück bin?«
»Wir räumen den Tisch ab, kümmern uns um das Geschirr und gehen anschließend nach Hause«, entschied Roz. »Sobald Sie fertig sind, kommen Sie entweder zu uns oder Sie rufen uns an.«
Tim hob lediglich die Hand, um sich zu bedanken und gleichzeitig zu verabschieden. In Gedanken war er wahrscheinlich längst bei dem, was ihn in Broombanks erwartete. Roz und Kate räumten schweigend auf. Beide mochten ihre Befürchtungen nicht aussprechen, wer der tote Mann sein könnte.
Bin ich etwa auch an diesem Todesfall schuld? , überlegte Kate. Wenn es sich tatsächlich um Graham handelt , dann musste er vermutlich sterben , weil wir gestern noch einmal zu ihm gefahren sind und ihm Fragen gestellt haben . Was haben wir uns eigentlich dabei gedacht? Das ist doch kein Spiel! Was haben wir bloß getan?
»Könnte er Donna getötet haben?«, wandte sie sich plötzlich an Roz.
»Wer? Tim? «
»Nein. Ich war gerade in Gedanken bei Graham.«
Roz überlegte. »Ich glaube es eigentlich nicht. Er schien sich mehr darüber zu sorgen, dass wir bei ihm zu Hause aufgekreuzt sind, als dass er sich um ihren Tod gekümmert hätte. Hätte er Schuldgefühle gehabt, hätte er vermutlich versucht, uns von seiner Unschuld zu überzeugen und uns Geschichten aufgetischt, zum Beispiel dass er in der betreffenden Nacht mit mindestens fünfzehn Freunden im Pub gewesen war. Ich denke, er ist in irgendetwas Illegales verwickelt, was aber nichts mit Donna zu tun hat.«
»Vielleicht hat er mit Kredithaien zu tun.« Kate nickte. »Oder mit Drogen. Falls es um Drogen geht, werden sich die Leute vermutlich fragen, wer wir waren, denn wir sehen nicht gerade wie die typischen Konsumenten aus. Und wenn seine Dealer Wind davon bekommen, dass wir bei ihm waren, werden sie sicher in Erfahrung bringen wollen, ob er uns gegenüber Namen genannt hat.«
»Offensichtlich hat er ja schon vorher unangenehmen Besuch bekommen. Denk nur an die Spuren in seinem Gesicht und die zerbrochene Porzellanfigur.«
»Das war eine Warnung«, mutmaßte Kate.
»Komm«, sagte Roz ein paar Minuten später, »wir sind hier fertig. Lass uns nach Hause gehen. Tim wird sich sicher melden, sobald er Näheres weiß.« Sie klang so besorgt, wie sich Kate fühlte.
»Ich bringe es einfach nicht fertig, heimzugehen und abzuwarten. Ich käme mir vor wie die Heldin in einem viktorianischen Roman. Lass uns selbst sehen, was da los ist.«
Und so wandten sich die beiden Frauen am Tor des Pfarrhauses nach links, statt nach rechts in Richtung Crossways Cottage zu gehen, und machten sich auf den Weg nach Broombanks. Am Ende der Straße standen einige Polizeiautos und ein Notarztwagen. Der Bereich vor den Mietshäusern war abgesperrt. Ein Polizist verwehrte Neugierigen den Durchgang.
Wie erwartet, hatte sich nahe dem Fundort der Leiche eine kleine Menschenmenge angesammelt: ältere Anwohner, junge Arbeitslose und Mütter mit kleinen Kindern. Kate erkannte Michelle und ihre Freundin, die mit ihren Kindern vor der Absperrung warteten. Die beiden Kleinen schienen ebenso interessiert wie
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