Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
wo ich seine niederschmetternde Aussage unterbrochen hatte.
»Mark hat niemals für Orndorff & Berger gearbeitet, Kay. In der Kanzlei kennt man ihn überhaupt nicht. Was mich nicht wundert. Mark James könnte gar nicht als Rechtsanwalt arbeiten. Er ist aus der Anwaltskammer ausgeschlossen worden. Es sieht so aus, als ob er ganz einfach nur Sparacinos persönlicher Handlanger sei.«
»Arbeitet denn Sparacino für Orndorff & Berger?«, gelang es mir zu fragen.
»Er ist ihr Anwalt für die Unterhaltungsbranche. Insofern stimmt die Geschichte«, antwortete er.
Ich sagte nichts und kämpfte mit meinen Tränen.
»Halten Sie sich fern von ihm, Kay«, riet Ethridge, und seine Stimme, die versuchte, sanft zu klingen, hörte sich an wie eine raue Liebkosung. »Um Himmels willen, brechen Sie die Geschichte ab. Was auch immer Sie mit ihm haben, brechen Sie es ab.«
»Ich habe nichts mit ihm«, sagte ich aufgewühlt.
»Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu ihm?«
»Vor einigen Wochen. Er rief mich an. Wir sprachen kaum länger als eine halbe Minute.«
Er nickte, als habe er nichts anderes erwartet. »Ein gehetztes Leben. Der Preis der Kriminalität. Ich möchte bezweifeln, dass Mark James jemals lange Telefongespräche führt, und ebenso möchte ich bezweifeln, dass er sich Ihnen nähert, ohne etwas von Ihnen zu wollen. Erzählen Sie mir, wieso Sie sich mit ihm in New York getroffen haben.«
»Er wollte mich sehen, mich vor Sparacino warnen.« Und lahm fügte ich hinzu: »Jedenfalls hat er das behauptet.«
»Und hat er Sie vor ihm gewarnt?«
»Ja.«
»Was hat er gesagt?«
»Genau dasselbe, was auch Sie mir über Sparacino erzählt haben.«
»Warum hat Mark Ihnen das erzählt?«
»Er sagte, dass er mich beschützen wolle.«
»Glauben Sie das?«
»Ich weiß nicht, was zum Teufel ich noch glauben soll«, erwiderte ich.
»Lieben Sie diesen Mann?«
Ich starrte den Generalstaatsanwalt stumm an.
Er sagte sehr ruhig: »Ich muss wissen, wie verletzbar Sie sind. Bitte denken Sie nicht, dass mir das Spaß macht, Kay.«
»Meinen Sie etwa, mir macht es Spaß, Tom?«, fragte ich, und meine Stimme überschlug sich fast dabei.
Ethridge nahm seine Serviette von seinem Schoß und faltete sie sorgfältig zusammen, bevor er sie unter den Rand seines Tellers schob.
»Ich habe Grund zu der Befürchtung«, flüsterte er, so leise, dass ich mich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen, »dass Mark James Ihnen schreckliches Unheil zufügen könnte, Kay. Es besteht der begründete Verdacht, dass er hinter dem Einbruch in Ihr Büro stecken könnte ...«
»Was für ein Verdacht?« Ich unterbrach ihn mit erhobener Stimme. »Wovon sprechen Sie überhaupt? Haben Sie Beweise ...«
Die Worte blieben mir im Mund stecken, weil Senator Partin und sein junger Begleiter auf einmal an unserem Tisch standen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie aufgestanden und zu uns herübergekommen waren. Ich sah in ihren Gesichtern, dass sie sich bewusst waren, eine angespannte Unterhaltung unterbrochen zu haben.
»John, wie schön, Sie zu sehen.« Ethridge schob seinen Stuhl zurück. »Sie kennen doch die Chefin der Gerichtsmedizin, Kay Scarpetta, oder?«
»Aber natürlich. Wie geht es Ihnen, Dr. Scarpetta?«
Der Senator schüttelte lächelnd meine Hand, aber seine Augen schienen weit entfernt. »Und dies ist mein Sohn, Scott.«
Ich bemerkte, dass Scott weder die derben, ziemlich grobschlächtigenGesichtszüge seines Vaters noch seine kleine, untersetzte Statur geerbt hatte. Der junge Mann sah unglaublich gut aus, groß, sportlich, und sein hübsches Gesicht wurde von herrlichem schwarzem Haar umrahmt. Er war etwa zwanzig, und in seinen Augen brannte eine Überheblichkeit, die mich irritierte. Die freundliche Begrüßung konnte meine Bestürzung nicht mindern, und ebenso wenig fühlte ich mich besser, als Vater und Sohn uns schließlich wieder allein ließen.
»Ich habe ihn irgendwo schon einmal gesehen«, sagte ich zu Ethridge, nachdem der Ober uns frischen Kaffee nachgegossen hatte.
»Wen? John?«
»Nein, nein, natürlich habe ich den Senator schon vorher gesehen. Ich spreche von seinem Sohn. Scott. Er kommt mir sehr bekannt vor.«
»Sie haben ihn vermutlich im Fernsehen gesehen«, antwortete er und schaute verstohlen auf seine Uhr. »Er ist Schauspieler, jedenfalls versucht er, einer zu werden. Ich glaube, er hatte einige kleinere Rollen in diversen Seifenopern.«
»Ach, du meine Güte«, murmelte ich.
»Vielleicht auch ein paar winzige
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