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Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Arbeitsplatz und hob jedes noch so kleine Ding, das auf den Boden gefallen war, wieder auf. So, als könne er es nicht ertragen, wenn irgendetwas nicht haargenau auf seinem Platz lag und pieksauber war.« Sie sah mich an.
    »Wann hat er sich über Jim Barnes beschwert?«, fragte ich sie.
    »Nicht lange nachdem ich angefangen hatte, in Valhalla zu arbeiten.« Sie zögerte und dachte angestrengt nach. »Ich glaube, dass Frankie kaum einen Monat in Valhalla war, als er etwas über Jim sagte. Ich glaube, er erzählte es einem anderen Patienten. Eigentlich« – sie hielt einen Moment inne und zog ihre hübsch geschwungenen Augenbrauen zusammen –, »eigentlich war es dieser andere Patient, der sich bei Dr. Masterson beschwerte.«
    »Wissen Sie, wer dieser Patient war? Der Patient, dem Frankie diese Geschichte erzählte?«
    »Nein.«
    »War es möglicherweise Al Hunt? Sie haben gesagt, dass Sie damals noch nicht lange im Valhalla gearbeitet hatten. Hunt muss im Frühling und Sommer vor elf Jahren dort Patient gewesen sein.«
    »Ich erinnere mich an keinen Al Hunt ...«
    »Sie müssen beide etwa in demselben Alter gewesen sein«, fügte ich hinzu.
    »Das ist interessant ...« Ihre Augen füllten sich mit unschuldigem Erstaunen und schauten mich an. »Frankie hatte einenFreund, einen etwa gleich alten Jungen. Daran erinnere ich mich. Blond. Der Junge war blond, sehr schüchtern und still. Mir fällt nur sein Name nicht mehr ein.«
    »Al Hunt war blond«, sagte ich.
    Stille.
    »O mein Gott ... «
    Ich half ihr auf die Sprünge. »Er war ruhig, war schüchtern ...«
    »O mein Gott«, wiederholte sie. »Ich wette, dass er es war. Und er hat letzte Woche Selbstmord begangen?«
    »Ja.«
    »Hat er Ihnen gegenüber Jim erwähnt?«
    »Er sprach von jemandem, den er Jim Jim nannte.«
    »Jim Jim« , wiederholte sie. »Mein Gott, ich weiß nicht ... « »Was ist denn weiter mit Frankie passiert?«
    »Er war nicht lange da, zwei oder drei Monate ... «
    »Kehrte er wieder nach Hause zurück?«, fragte ich.
    »Das kann ich mir kaum vorstellen«, erwiderte sie. »Da war etwas mit seiner Mutter. Ich glaube, er wohnte bei seinem Vater. Frankies Mutter hatte ihn im Stich gelassen, als er klein war – oder so ähnlich. Alles, woran ich mich erinnern kann, ist, dass seine familiäre Situation sehr traurig war. Aber eigentlich trifft das auf fast alle Patienten im Valhalla zu ... «
    Sie seufzte. »Mein Gott, das ist ja eine Geschichte. Ich habe all die Jahre nie dran gedacht. Frankie.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich frage mich, was wohl aus ihm geworden ist.«
    »Haben Sie irgendeine Idee?«
    »Überhaupt keine.« Sie sah mich lange an, dann dämmerte es ihr. Ich konnte direkt sehen, wie ihr die Angst in die Augen stieg. »Diese zwei Morde. Sie glauben doch nicht etwa, dass Frankie ...«
    Ich schwieg.
    »Er war nie gewalttätig, jedenfalls nicht, während ich mit ihm arbeitete. Er war eigentlich sehr sanft.«
    Sie wartete. Ich gab keine Antwort.
    »Ich meine, er verhielt sich mir gegenüber sehr lieb und höflich, war immer aufmerksam und hat alles getan, was ich ihm sagte.« »Er mochte Sie«, vermutete ich.
    »Er strickte mir einen Schal. Eben fällt es mir wieder ein. Er war rot, weiß und blau. Das hatte ich völlig vergessen. Wo ist er nur hingekommen?« Ihre Stimme verlor sich. »Ich muss ihn wohl irgendwann der Heilsarmee gegeben haben. Ich weiß es nicht mehr. Frankie, nun, ich glaube, er hatte irgendwie ein Faible für mich.« Sie lachte nervös.
    »Mrs. Wilson, wie sah Frankie aus?«
    »Groß, dünn, mit dunklen Haaren.« Sie schloss kurz ihre Augen. »Es ist schon so lange her.« Sie sah mich wieder an. »Er war nicht besonders auffällig. Aber ich erinnere mich nicht, dass er besonders gut ausgesehen hätte. Wissen Sie, ich würde mich vielleicht besser an ihn erinnern, wenn er wirklich gutaussehend oder ausgesprochen hässlich gewesen wäre. Ich glaube, er war irgendwie unscheinbar.«
    »Hat vielleicht die Klinik noch irgendwelche Fotos von ihm in ihren Akten?«
    »Nein.«
    Wir schwiegen wieder. Dann blickte sie mich erstaunt an.
    »Er stotterte«, sagte sie zuerst langsam, dann noch einmal mit mehr Überzeugung.
    »Wie bitte?«
    »Manchmal stotterte er. Ich erinnere mich. Wenn Frankie sehr aufgeregt oder nervös war, stotterte er.«
    Jim Jim.
    Al Hunt hatte genau das gemeint, was er gesagt hatte. Als Frankie ihm erzählte, was Barnes mit ihm gemacht hatte oder versucht hatte zu machen, war Frankie natürlich verstört und

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