Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
ziemlicher Sicherheit getan haben. Er konnte sich ja ausrechnen, dass die Polizei nach ihm suchen würde.« Er nahm seinen Kaffee. »Das Problem ist, dass wir keine aktuelle Beschreibung von ihm haben und dass bei Klitschen wie Masterwash die Angestellten sich praktisch die Klinke in die Hand geben. Ständig werden neue Leute eingestellt, oft nur für eine Woche oder einen Monat. Haben Sie eine Ahnung, wie viele Weiße groß, schlank und dunkelhaarig sind? Sie alle zu überprüfen wäre reiner Irrsinn.«
Wir waren der Lösung so nahe und doch so fern. Es war zum Verrücktwerden.
»Die Faseruntersuchungen weisen auf eine Waschanlage hin«, sagte ich frustriert. »Hunt arbeitete in Beryls bevorzugter Waschanlage und kannte möglicherweise ihren Mörder. Verstehen Sie, was ich damit sagen möchte, Marino? Hunt wusste, dass Frankie seine Mutter umgebracht hatte, weil Hunt und Frankie auch nach Valhalla vielleicht noch Kontakt miteinander hatten. Frankie hat vielleicht in Hunts Waschanlage gearbeitet, vielleicht sogar bis vor kurzem. Es ist möglich, dass Frankie auf Beryl aufmerksam wurde, als sie ihren Wagen zum Waschen brachte.«
»Sie beschäftigen sechsunddreißig Angestellte dort. Alle, bis auf elf, sind Schwarze, Doc, und unter diesen elf Bleichgesichtern sind sechs Frauen. Bleiben also wie viele? Fünf? Drei von ihnen sind unter zwanzig, das heißt, dass sie so acht, neun Jahre alt waren, als Frankie in Valhalla war. Die scheiden also aus. Und die anderen zwei kommen auch nicht in Frage, und zwar aus diversen Gründen.«
»Was sind das für Gründe?«, fragte ich.
»Zum Beispiel, dass sie erst in den letzten paar Monaten dort arbeiteten, also gar nicht da gewesen sein konnten, als Beryl ihre Mühle hingebracht hat. Ganz zu schweigen von ihrer körperlichen Beschreibung, die nicht einmal annähernd stimmt. Einer hat rote Haare, und der andere ist fast ein Liliputaner, kaum größer als Sie.«
»Vielen Dank.«
»Ich werde weiter nachforschen«, sagte er und drehte sich mit dem Rücken zum Vogelhaus, von wo aus uns unentwegt Sammy, das Eichhörnchen, mit rosa umränderten Augen anblickte.
»Und was ist mit Ihnen?«
»Was soll mit mir sein?«
»Weiß Ihre Dienststelle eigentlich noch, dass Sie dort arbeiten?«, fragte Marino.
Er sah mich komisch an.
»Alles unter Kontrolle«, behauptete ich.
»Da bin ich mir nicht so sicher, Doc.«
»Aber ich.«
»Aber ich glaube, dass es Ihnen momentan nicht allzu gut geht.« Marino gab keine Ruhe.
»Ich werde noch ein paar tage nicht ins Büro gehen«, erklärte ich bestimmt. »Ich muss Beryls Manuskript finden. Ethridge kümmert sich um die Anzeige, die deswegen gegen mich läuft. Und wir müssen wissen, was in dem Manuskript steht. Vielleicht ist es die Verbindung, von der Sie gesprochen haben.«
»Aber denken Sie an meine Verhaltensregeln.« Er schickte sich an zu gehen.
»Ich werde sehr vorsichtig sein«, versicherte ich.
»Und Sie haben wirklich nichts mehr von ihm gehört?« »Richtig«, bestätigte ich. »Keine Anrufe. Und auch sonst keine Anzeichen von ihm. Nichts.«
»Nun, ich will Sie bloß daran erinnern, dass er Beryl auch nicht jeden Tag angerufen hat.«
Er musste mich nicht erst daran erinnern, und ich wollte nicht, dass er schon wieder damit anfing. »Wenn er anruft, sage ich einfach: hallo, Frankie. Was ist los?«
»Hey. Das ist kein Witz.« Er blieb in der Diele stehen und drehte sich um. »Sie haben doch einen Witz gemacht, oder?«
»Natürlich.« Ich lächelte und klopfte ihm auf den Rücken.
»Ich meine es ernst, Doc. Machen Sie nichts dergleichen. Wenn Sie ihn auf Ihrem Anrufbeantworter hören, dann heben Sie nicht ab, verdammt noch mal.«
Marino erstarrte, als ich die Tür öffnete, und riss erschreckt die Augen auf.
»Ach, du Scheiße ...« Er trat hinaus auf meine Veranda, zog idiotischerweise seinen Revolver und fuchtelte damit wie ein Wilder in der Luft herum.
Ich war zu verblüfft, um etwas zu sagen, und schaute nur an ihm vorbei, wo prasselnde, brausende Hitze die Winterluft erzittern ließ.
Marinos Auto war nur noch ein flammendes Inferno vor dem schwarzen Nachthimmel. Gelbe Flammen tanzten und züngelten hinauf zur schmalen Sichel des Monds. Ich packte Marino am Ärmel und riss ihn zurück ins Haus, gerade in dem Augenblick, als ich in der Ferne eine Sirene hörte und der Benzintank explodierte. Hinter den Fenstern des Wohnzimmers stieg ein Feuerball in den Himmel und setzte die Sträucher am Rand meines Grundstücks in
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