Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
abzudrücken.
»Wie bist du hier hereingekommen?«, fragte ich matt.
»Ich bin dein Ehemann«, sagte er, griff in seine Tasche und zeigte mir einen Hotelschlüssel für mein Zimmer.
»Du Bastard«, flüsterte ich, und mein Herz klopfte schneller. Sein Gesicht wurde noch bleicher. Er wandte seine Augen ab. »Kay ...«
»O Gott. Du Bastard!«
»Kay. Ich bin hier, weil Benton Wesley mich hergeschickt hat. Bitte.« Dann stand er auf.
Ich beobachtete sprachlos und benommen, wie er eine Flasche Whisky aus seinem Koffer nahm. Er ging an mir vorbei zur Bar und füllte Eis in zwei Gläser. Seine Bewegungen waren langsamund überlegt, so als täte er sein Bestes, um mich nicht weiter aufzuregen. Außerdem schien er sehr müde zu sein.
»Hast du schon etwas gegessen?«, fragte er und reichte mir meinen Drink.
Ich ging um ihn herum und legte ganz nebenbei den Rucksack und meine Handtasche auf die Kommode.
»Also ich bin am Verhungern«, sagte er, öffnete den Kragen seines Hemdes und zog sich die Krawatte vom Hals. »Verdammt, ich habe bestimmt viermal das Flugzeug gewechselt. Ich glaube, ich habe seit dem Frühstück nichts außer ein paar Erdnüssen gegessen.«
Ich schwieg.
»Ich habe schon etwas für uns bestellt«, fuhr er ruhig fort. »Bis es gebracht wird, bist du bestimmt fertig.«
Ich ging ans Fenster und schaute hinaus auf die Wolken, die sich über den Lichtern der Altstadtstraßen von Key West purpurgrau färbten. Mark zog sich einen Stuhl heran, schlüpfte aus seinen Schuhen und legte seine Füße auf die Kante des Betts.
»Sag mir bitte, wann du bereit bist, meine Erklärungen anzuhören«, schlug er vor und ließ das Eis im Glas kreisen.
»Ich würde dir ohnehin kein Wort glauben, Mark«, antwortete ich kalt.
»Das kann ich dir nicht verübeln. Man bezahlt mich dafür, dass ich in einer Lüge lebe. Ich bin mittlerweile unglaublich gut darin geworden.«
»Ja«, wiederholte ich, »du bist wirklich unglaublich gut darin geworden. Wie hast du mich gefunden? Ich glaube dir nicht, dass du es von Benton weißt. Er hat keine Ahnung, wo ich wohne, und auf dieser Insel muss es an die fünfzig Hotels und bestimmt noch mal so viele Pensionen geben.«
»Du hast recht. Ich bin sicher, dass es so viele gibt. Aber ich musste nur einen einzigen Telefonanruf machen, und schon hatte ich dich gefunden.«
Geschlagen setzte ich mich aufs Bett.
Er griff in die Innentasche seiner Anzugjacke, holte eine gefalteteBroschüre hervor und gab sie mir. »Kommt dir das bekannt vor?«
Es war dieselbe Fremdenverkehrsbroschüre, die Marino in Beryl Madisons Schlafzimmer gefunden hatte und von der sich eine Fotokopie in ihrer Akte befand. Es war dieselbe Broschüre, die ich unzählige Male durchgelesen hatte und an die ich mich vorgestern Nacht, als ich beschlossen hatte, nach Key West zu fliehen, wieder erinnert hatte. Auf einer ihrer Seiten waren Restaurants, Sehenswürdigkeiten und Geschäfte aufgelistet, auf der anderen befand sich ein von Anzeigen umrahmter Stadtplan, und eine von diesen Anzeigen warb für dieses Hotel. Daher hatte ich die Idee, hier abzusteigen.
»Benton hat mich gestern nach ein paar vergeblichen Versuchen endlich erreicht«, fuhr er fort. »Er war ziemlich aufgeregt und sagte, dass du hier heruntergeflogen bist. Wir überlegten uns, wie wir dich aufspüren könnten. Anscheinend hat er in seinen Akten eine Fotokopie von dieser Broschüre. Er nahm an, dass du sie auch gesehen hast, vielleicht sogar ebenfalls eine Kopie davon besitzt. Wir dachten, dass du sie möglicherweise als Führer benutzen würdest.«
»Woher hast du das Ding?«, fragte ich und gab ihm die Broschüre zurück.
»Vom Flughafen. Zufälligerweise ist dieses Hotel das einzige, das eine Anzeige darin veröffentlicht hat. Deshalb rief ich hier zuerst an. Sie sagten, sie hätten eine Reservierung auf deinen Namen.«
»Okay. Im Fliehen bin ich anscheinend nicht besonders gut.« »Als Flüchtling bist du eine Null.«
»Ich habe das Hotel wirklich aus dieser Broschüre, wenn du es genau wissen willst«, gab ich ärgerlich zu. »Ich habe Beryls Papiere schon so oft durchgesehen, dass ich mich an die Broschüre erinnerte, sogar an die Anzeige des Holiday Inn in der Duval Street. Ich vermute, dass sie mir deshalb im Gedächtnis geblieben ist, weil ich mich oft gefragt habe, ob sie wohl hier gewohnt hat, als sie nach Key West kam.«
»Und, hat sie?« Er hob sein Glas.
»Nein.«
Als er aufstand, um nachzuschenken, klopfte es an der Tür, und
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