Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
mein Herz stand fast still, als Mark lässig unter seine Jacke griff und eine Neun-Millimeter-Pistole hervorholte. Er hielt sie in Richtung Decke, während er durch das Guckloch schaute. Dann schob er die Waffe wieder in das Holster und öffnete die Tür. Unser Abendessen war da. Als Mark die junge Frau bar bezahlte, lächelte sie zufrieden und sagte: »Vielen Dank, Mr. Scarpetta. Und guten Appetit.«
»Warum hast du dich als mein Ehemann ausgegeben?«, wollte ich wissen.
»Ich werde auf dem Boden schlafen. Aber ich lasse dich heute Nacht nicht allein«, antwortete er, als er die Teller auf den Tisch neben dem Fenster stellte und die Flasche Wein entkorkte. Er zog seine Jacke aus, warf sie auf das Bett und legte die Neun-Millimeter in Griffweite auf die Kommode neben meinen Rucksack.
Ich wartete, bis er sich gesetzt hatte, und fragte ihn dann nach der Waffe.
»Ein hässliches kleines Monster, aber vielleicht ist sie der einzige Freund, den ich habe«, antwortete er und schnitt sein Steak klein. »Und, apropos, ich nehme an, dass du deine .38er dabei hast, vermutlich in diesem Rucksack da.« Er blickte hinüber zur Kommode.
»Sie ist in meiner Handtasche, damit du’s weißt«, stieß ich hervor. Es klang lächerlich. »Und woher, um Himmels willen, weißt du, dass ich eine .38er habe?«
»Benton hat es mir erzählt. Er sagte auch, dass du sie seit kurzem verdeckt tragen darfst, und er meinte, dass du im Moment kaum ohne deine Waffe unterwegs sein dürftest.« Er nahm einen Schluck von seinem Wein und fügte hinzu: »Nicht schlecht.«
»Hat dir Benton auch meine Konfektionsgröße mitgeteilt?«, fragte ich und zwang mich zu essen, obwohl mich mein Magen inständig bat, es nicht zu tun.
»Also, dazu brauche ich ihn nun wirklich nicht. Du hast immernoch sechsunddreißig, und du siehst immer noch so gut aus wie damals in Georgetown. Eigentlich sogar besser.«
»Ich würde es sehr begrüßen, wenn du mit diesem Kavaliersgetue aufhören und mir erzählen würdest, woher, um alles in der Welt, du überhaupt Benton Wesleys Namen kennst. Davon, dass du offensichtlich das Privileg genießt, so viele intime Informationen über mich mit ihm teilen zu dürfen, will ich gar nicht erst reden.«
»Kay.« Er legte seine Gabel beiseite, als er meinen zornigen Blick sah. »Ich kenne Benton schon länger als du. Kannst du es dir denn immer noch nicht zusammenreimen? Muss ich es dir erst in riesigen Neonlettern vor die Augen schreiben?«
»Ja. Schreib es mit riesigen Neonlettern an den Himmel, Mark. Ich weiß nämlich nicht, was ich noch glauben soll. Ich habe keine Ahnung mehr, wer du bist. Ich traue dir nicht. Um ehrlich zu sein, im Moment habe ich fürchterliche Angst vor dir.«
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, und sein Gesichtsausdruck war so ernst wie nie zuvor. »Kay, es tut mir leid, dass du Angst vor mir hast. Aber sie ist vollkommen berechtigt, denn nur sehr wenige Leute auf der Welt wissen, wer ich wirklich bin, und manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich selber es noch weiß. Ich konnte es dir nicht vorher sagen, aber jetzt ist es vorbei.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Lange bevor du Benton kennengelernt hast, hat er mich an der FBI-Akademie ausgebildet.«
»Du bist beim FBI ?«, fragte ich erstaunt.
»Ja.«
»Nein!«, rief ich ungläubig, und meine Gedanken drehten sich im Kreis. »Nein! Dieses Mal werde ich dir nicht glauben, verdammt noch mal. «
Er stand wortlos auf, ging zu dem Telefon am Bett und begann zu wählen.
»Komm her«, sagte er und blickte zu mir herüber. Dann gab er mir den Hörer.
»Hallo?« Ich erkannte die Stimme sofort.
»Benton?«, fragte ich.
»Kay? Geht es Ihnen gut?«
»Mark ist hier«, antwortete ich. »Er hat mich gefunden. Ja, Benton, ich bin in Ordnung.«
»Gott sei Dank. Sie sind in guten Händen. Ich bin sicher, dass er Ihnen alles erklären wird.«
»Da bin ich mir auch sicher. Vielen Dank, Benton. Auf Wiedersehen.«
Mark nahm mir den Hörer aus der Hand und legte auf. Als wir wieder am Tisch saßen, sah er mich lange an, bevor er wieder zu sprechen begann.
»Nach Janets Tod habe ich mit meiner Arbeit als Rechtsanwalt aufgehört. Ich weiß immer noch nicht, warum eigentlich, Kay, aber das tut nichts zur Sache. Ich arbeitete eine Zeitlang für das FBI in einer Außenstelle in Detroit und wurde dann Special Agent mit streng geheimem Auftrag. Was ich dir von meiner Arbeit bei Orndorff & Berger erzählt habe, war nur Tarnung.«
»Du willst mir doch nicht
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