Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
weiter war Gallagher’s Steakhouse, dessen bloßer Anblick schon den Cholesterinspiegel nach oben schnellen, zugleich aber auch das Herz eines jeden Fleischessers höher schlagen lässt. Das Schaufenster sah aus wie ein riesiger, gläserner Kühlraum, in dem jede nur erdenkliche Sorte Fleisch zur Schau gestellt wurde. Das Innere des Lokals war über und über mit Autogrammbildern bepflastert, so dass es aussah wie eine Wallfahrtskapelle der Prominentenverehrung.
Es war laut, und der Barkeeper mixte unsere Drinks sehr stark. Ich zündete eine Zigarette an und ließ meine Blicke durchs Lokal schweifen. Die Tische standen, wie in New Yorker Restaurants üblich, sehr eng beieinander. Links von uns waren zwei Geschäftsleute in ein Gespräch vertieft, und der Tisch zu unserer Rechten war leer, aber an dem dahinter saß ein umwerfend gutaussehender junger Mann, der sich die New York Times und einBier zu Gemüte führte. Ich sah Mark lange an und versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Er hatte einen angespannten Zug um die Augen und spielte mit seinem Scotch.
»Warum bin ich wirklich hier, Mark?«, fragte ich.
»Vielleicht wollte ich dich einfach einmal wieder zum Essen ausführen«, erwiderte er.
»Ich meine es ernst.«
»Ich auch. Oder macht es dir etwa keinen Spaß?«
»Wie kann mir etwas Spaß machen, bei dem ich jeden Moment darauf gefasst sein muss, dass eine Bombe hochgeht?«, fragte ich.
Er knöpfte sein Jackett auf. »Lass uns erst bestellen. Dann können wir reden.«
So hatte er es schon immer mit mir gemacht. Erst stachelte er meine Neugier an, und dann ließ er mich warten. Vielleicht war das der Anwalt in ihm. Schon früher hatte mich das auf die Palme gebracht, und das tat es auch jetzt.
»Das Rumpsteak soll ausgezeichnet sein«, bemerkte er, als wir auf die Speisekarte schauten. »Ich glaube, das werde ich nehmen. Und einen Spinatsalat. Es ist zwar nichts Ausgefallenes, aber die Steaks hier sollen die besten in der ganzen Stadt sein.«
»Warst du denn vorher noch nie hier?«, fragte ich.
»Nein. Aber Sparacino war hier«, antwortete er.
»Hat er dir dieses lokal empfohlen? Und vermutlich auch das Hotel?« langsam litt ich unter Verfolgungswahn.
»Stimmt«, bestätigte er und studierte die Weinkarte. »Das ist so üblich. Alle Mandanten, die nach New York kommen, steigen im Omni ab, weil es in der Nähe der Kanzlei liegt.«
»Und dann essen eure Mandanten hier?«
»Sparacino war ein paarmal hier, wenn er das Theater besuchte. Daher kennt er das lokal«, erwiderte Mark.
»Was kennt Sparacino sonst noch alles?«, fragte ich. »Kennt er zum Beispiel den Grund, aus dem du heute Abend hier bist? Hast du ihm erzählt, dass du dich mit mir triffst?«
Er sah mir in die Augen und sagte: »Nein.«
»Aber wie ist das möglich, wo doch deine Kanzlei mich in demHotel untergebracht hat, das Sparacino zusammen mit diesem lokal empfohlen hat?«
»Er hat mir das Hotel empfohlen, Kay. Irgendwo muss ich ja schließlich auch übernachten. Und essen. Sparacino hat mich eingeladen, heute Abend mit ihm und ein paar anderen Anwälten zum Essen zu gehen, aber ich habe abgesagt. Ich gab vor, noch ein paar Papiere durchsehen zu müssen. Ich sagte, ich würde höchstwahrscheinlich irgendwo auf die Schnelle ein Steak essen, und da hat er mir dieses lokal empfohlen.«
langsam dämmerte es mir, und ich war mir nicht sicher, ob ich mich peinlich berührt oder verärgert fühlte. Vielleicht beides. Orndorff & Berger hatten gar nicht für diese Reise bezahlt. Es war Mark gewesen, und seine Kanzlei wusste nichts davon.
Der Kellner kam an unseren Tisch, und Mark bestellte. Ich verspürte schon fast keinen Appetit mehr.
»Ich bin gestern Abend hier gelandet«, erklärte er, »nachdem Sparacino mich gestern Morgen in Chicago angerufen und gesagt hatte, dass er mich sofort sprechen müsse. Wie du sicher schon erraten hast, ging es um Beryl Madison.« Er sah betreten aus.
»Und?«, trieb ich ihn mit wachsender Unruhe an.
Er atmete tief durch und fuhr fort: »Sparacino weiß von unserer Verbindung ... Ich meine, er weiß alles über dich und mich. Über unsere Vergangenheit ...«
Mein Blick stoppte ihn.
»Du Mistkerl!« Ich schob meinen Stuhl zurück und warf die Serviette auf den Tisch.
»Kay!«
Mark packte mich am Arm und zog mich auf den Stuhl zurück. Ich schüttelte ihn ärgerlich ab, saß stocksteif da und blickte ihn böse an. In einem anderen Restaurant, in Georgetown, hatte ich den schweren goldenen Armreif, den
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