Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
meine Schulter auf die Liste von Wörtern, die wir bisher gefunden hatten.
Du, dein, ich, mein, wir und gut kamen häufig vor. Unter den anderen Wörtern, die wir vollständig entziffert hatten, war der Mörtel, der jede alltägliche Satzkonstruktion zusammenhielt: und, ist, das, dies, welches, ein und eine . Manche Wörter waren ein bisschen mehr spezifisch: Stadt, Haus, wissen, bitte, befürchte, Arbeit, denke und vermisse . Bei den unvollständigen Wörtern konnten wir nur mutmaßen, was sie in ihrem früheren leben vielleicht einmal gewesen waren. So notierten wir zum Beispiel einige Male das Wort furchtbar , weil uns kein anderes Wort einfiel, das mit den Buchstabenfolgen furch oder furcht begann. Die feinere Bedeutung entging uns natürlich vollständig. Benutzte die Person »furchtbar« im Sinne von: »Es ist so furchtbar«? Oder als Adverb wie in dem Satz: »Ich habe mich furchtbar geärgert«? Oder wurde das Wort eher in einem harmlosen Sinne gebraucht wie bei »Das ist ja furchtbar nett von dir«?
Es war auffällig, dass wir mehrere Überbleibsel des Namens Sterling fanden und ebenso viele des Namens Cary.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie persönliche Briefe verbrannt hat«, entschied ich. »Die Art des Papiers und die verwendeten Wörter legen diesen Schluss nahe.«
Will stimmte mir zu.
»Können Sie sich erinnern, ob Sie irgendwelches Briefpapier in Beryls Haus gefunden haben?«, fragte ich Marino.
»Computer- und Schreibmaschinenpapier. Das war alles.
Nichts von diesem sündteuren Hadernzeug, von dem Sie gerade reden«, entgegnete er.
»Ihr Drucker verwendet Textil-Farbbänder«, erinnerte uns Will, während er seine Pinzette vorsichtig um ein Stück Asche schloss, und fügte hinzu: »Ich glaube, wir haben wieder eines.« Ich sah es mir an.
Diesmal waren nur die Buchstaben or C übriggeblieben. »Beryl besaß einen Computer und Drucker von der Firma Lanier«, sagte ich zu Marino. »Ich glaube, es wäre gut, wenn wir nachprüfen würden, ob sie diese Geräte schon immer hatte.« »Ich habe ihre Rechnungen durchgeschaut«, bemerkte er. »Wie viele Jahre zurück?«, fragte ich.
»Fünf oder sechs, so viele, wie da waren«, antwortete er. »Immer derselbe Computer?«
»Nein«, entgegnete er. »Aber derselbe gottverdammte Drucker, Doc. Ein Ding, das sich Typ 1600 nennt, mit einem Typenrad. Sie verwendete immer die gleichen Farbbänder. Womit sie vorher geschrieben hat, weiß ich nicht.«
»Ich verstehe.«
»Oh, das freut mich aber«, maulte Marino und massierte sich seinen Nacken. »Ich verstehe überhaupt nichts, verdammt noch mal!«
10
Die nationale FBI-Akademie in Quantico, Virginia, ist eine Oase aus Ziegeln und Glas inmitten eines künstlich erzeugten Kriegs. Niemals werde ich meinen ersten Aufenthalt dort vergessen, der nun schon Jahre zurücklag. Damals hörte ich beim Schlafengehen wie beim Aufstehen das Geratter automatischer Gewehre, und als ich einmal auf dem Trimmpfad im Wald in den falschen Weg einbog, hätte mich beinahe ein Panzer platt gewalzt.
Es war Freitagmorgen. Wir hatten einen Termin mit Benton Wesley, und seit Marino den Brunnen und die Flaggen der Akademie gesehen hatte, hatte er sichtlich Haltung angenommen. Auf unserem Weg durch die weiträumige, sonnendurchflutete Lobby musste ich bei jedem seiner Schritte zwei machen, um mit ihm mithalten zu können. Das neue Gebäude sah einem guten Hotel so ähnlich, dass es den Spitznamen »Quantico Hilton« wirklich verdiente. Marino gab seinen Revolver am Empfangsschalter ab und trug uns ein, und während wir uns unsere Besucherausweise an die Jacken knipsten, rief der Mann vom Empfang Wesley an, um sich von ihm unseren Status als bevorzugte Besucher bestätigen zu lassen.
In Quantico verknüpft ein Labyrinth aus gläsernen Verbindungsgängen die verschiedenen Büro-, Lehrsaal- und Laborkomplexe miteinander, und man kann alle Gebäude erreichen, ohne jemals hinaus ins Freie zu müssen. Ganz egal, wie oft ich hierherkam, ich verlief mich immer.
Marino schien zu wissen, wo er hinging, also heftete ich mich pflichtschuldigst an seine Fersen. Eine Menge Studenten kamen uns entgegen, die alle an ihren Farben zu erkennen waren. Rote Hemden und Khakihosen trugen die Officers der Polizei. Graue Hemden mit schwarzen Drillichhosen, die in auf Hochglanz gewienerten Stiefeln steckten, verrieten Drogenfahnder, die sich noch in Ausbildung befanden, während die länger Dienendenin düsterem Schwarz herumliefen. Neueingestellte
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