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Flucht im Mondlicht

Flucht im Mondlicht

Titel: Flucht im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N. H. Senzai
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zu bekommen, dass sie Fadi und Mariam aus den Augen verloren. Es ist meine Schuld.«
    Fadi krallte die Fingernägel in den Sack Reis. Nein, es war nicht ihre Schuld. Sie konnte nichts dafür, dass Mariam zurückblieb .
    »Aber nein, so darfst du nicht denken, Safuna, Jan «, widersprach Tante Nilufer mit sanfter Stimme. »Du warst krank. Dafür kannst du nichts.«
    »Ich weiß nicht …« Safuna schwieg eine Weile. »Ich habe mich stets bemüht, eine gute Mutter zu sein. Aber ich musste immer der strenge Elternteil sein. Habib ist der Gutmütige, derjenige, zu dem die Kinder gehen, wenn sie sich die Knie aufgeschürft haben oder wenn sie jemandem ei n Geheimnis anvertrauen wollen. Deshalb frage ich mich nun, ob Mariam womöglich glaubt, ich würde sie nicht lieben und nicht vermissen …«
    »Aber natürlich weiß Mariam, dass du sie liebst«, versicherte ihr Tante Nilufer. »Du kannst es ihr selbst sagen, wenn sie heimkommt. So viele Leute suchen nach ihr. Sie wird bestimmt bald gefunden.«
    » Inschallah «, sagte Safuna leise.
    »Nun komm und setz dich in den Garten«, sagte Tante Nilufer. »Die frische Luft wird dir guttun. Ich mache uns noch eine Kanne grünen Tee.«
    Als die Frauen mit ihrem Tee in den Garten hinter dem Haus hinausgingen, saß Fadi allein im Dunkeln. Ich habe es nicht anders verdient .

Paradise
    Fadi wippte auf dem Rand des Bettes und betrachtete den engen Raum im hinteren Teil von Onkel Amins Haus, in dem seine Familie untergebracht war. Er blickte beklommen auf den Kalender mit den tanzenden Katzen. Es war der letzte Tag des August 2001. Nun waren sie schon mehr als sechs Wochen hier. Er zerknautschte die kunstseidene Tagesdecke in seiner Faust. Ein Gefühl lähmender Hoffnungslosigkeit überkam ihn.
    In den vergangenen Wochen hatte er oft hinter dem Sofa im Wohnzimmer gehockt und heimlich gelauscht, während Habib und Onkel Amin mit ihren Verwandten und Freunden in Afghanistan und Pakistan telefoniert hatten. Auf beiden Seiten der Grenze suchten Dutzende von Leuten nach Mariam, aber bisher ohne Erfolg. Nicht einmal Tante Nargis’ Helfer hatten eine Spur von einem kleinen Mädchen namens Mariam gefunden.
    Aber hat Mariam überhaupt irgendwem ihren Namen genannt? Fadi wurde es eng ums Herz, als er sich daran erinnerte, wie Habib ihr eingeschärft hatte, dass sie kein em Menschen verraten sollte, wie sie hieß. Vielleicht kön nen die Leute sie nicht aufspüren, weil niemand weiß, wer sie ist. Wie soll sie dann je gefunden werden?
    Am Freitagabend um neun Uhr wählte Habib, wie jede Woche, die Nummer, die er vom amerikanischen Konsulat in Peschawar erhalten hatte. Dort war es schon Samstag, neun Uhr morgens, also genau zwölf Stunden später. In der Vorwoche hatte die knackende Stimme der Konsu­latsbeamtin über die Freisprechanlage berichtet, dass sie immer noch Anfragen verschickte. Aber die Lage in Afghanistan verschlechterte sich. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte eine neue Resolution zur strengeren Überwachung und Durchsetzung der Sanktionen gegen die Taliban verabschiedet. Deshalb war die Situa­tion an der Grenze nun sehr angespannt. Fadis Nieder­geschlagenheit drohte in Verzweiflung umzuschlagen, als er sich daran erinnerte, wie ihm Mariams kleine Hand durch die Finger geglitten war. Vater war sich so sicher, dass Mariam bald gefunden wird .
    Aber inzwischen warteten sie schon seit Wochen vergeblich auf irgendeine positive Nachricht über sie. Fadis Nerven lagen blank. Er zog sich zurück und blieb für sich. Salmai tat sein Bestes, um seinen Vetter aufzumuntern. Er stellte ihn seinen Freunden vor, schleppte ihn zum Entenfüttern in den Lake-Elizabeth-Park und ließ ihn seine besten Videospiele spielen. Und als er erfuhr, dass Fadi gern fotografierte, bot er ihm sogar an, für ihn im Superman-Kostüm zu posieren, aber Fadi war nicht bei der Sache.
    Eines Tages quetschte sich die ganze Familie in zwei Autos und fuhr zur Great Mall, dem größten Einkaufszentrum in der Region, das in ein altes Ford-Montagewerk hineingebaut worden war. Der Unterschied zwischen der Great Mall und den einfachen Märkten in Kabul war gewaltig. Fadi staunte über die vielen verschiedenen Geschäfte. Besonders das Angebot an elektronischem Spielzeug lenkte ihn eine Weile von seinem Kummer ab. Aber als er später Safuna verstört zwischen Reihen von rosa­roten Festkleidchen für kleine Mädchen herumwandern sah, wollte er nur noch nach Hause und sich in der Speisekammer verkriechen. Daheim

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