Flucht in die Hoffnung
das wolle Emira doch bestimmt nicht.
»Dann komme ich wieder, Papa«, beeilte sie sich zu sagen.
Und Farid behauptete daraufhin mir gegenüber, dass Emira in
Deutschland todunglücklich sei und zu ihm zurückwolle.
Als er spürte, dass ich seine Manipulationen durchschaute, schaltete
er um auf das Weichspülprogamm. Er berichtete, wie gut seine Geschäfte liefen.
Wie viel Geld er jetzt habe. Wie einfach wir es nun haben würden. Dass wir doch
jetzt wüssten, worauf es ankomme. Dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit
gelernt hätten. Er sagte tatsächlich wir .
Das musste ein Irrtum sein. Farid machte doch keine Fehler!
Tatsächlich war es dieses kleine Wörtchen »wir«, das mich aufmerken
ließ. In den vergangenen Jahren hatte ich darunter gelitten, dass er meinte,
über mich bestimmen zu können. Abwechselnd hatte ich es mir gefallen lassen,
weil ich all den Streit nicht ertragen hatte, oder hatte aufbegehrt – doch das
stand mir in seinen Augen nicht zu. Schließlich war ich in seinen Besitz
übergegangen. Doch Farid war kein traditioneller Tunesier, und so hatte ich
diesen Aspekt unserer Ehe niemals ernst genommen. Wie sollte ein Mensch einen
anderen besitzen … Der Gedanke war mir so fremd, dass er mich gewissermaßen
nicht erreichte. Doch ich hatte zu spüren bekommen, was es bedeutete, nicht als
Mensch geachtet zu werden. Als er jetzt »wir« sagte, schöpfte ich Hoffnung.
»Wir«, das klang nach wirklichen Gesprächen, nach Respekt für den anderen und
seine Ansichten, seine Bedürfnisse. Das klang nach einer Partnerschaft, wie ich
sie mir wünschte.
Ich kämpfte mit mir selbst. Wochenlang überlegte ich, was das
Richtige wäre. Wie konnte ich es herausfinden? Sollte ich meine Zukunft als
alleinerziehende Mutter in Deutschland verbringen oder als Frau von Monsieur Wunderbar
in Tunesien? In Tunesien wäre ich auch allein, eingesperrt in einen goldenen
Käfig. Doch in Deutschland erlebte ich meine Einsamkeit stärker. Vielleicht
wäre es anders gewesen, wenn ich eine Arbeit gefunden hätte, die mich erfüllte.
Die Bekanntschaften, die ich schloss, hatten nur eine gemeinsame Basis – die
Kinder. Ich selbst befand mich auf der Suche, musste lernen, mich neu zu
definieren, doch das konnte ich hier nicht. Vielleicht war ich auch längst zu
sehr daran gewohnt, das zu tun, was Farid von mir verlangte. Mein Selbstbewusstsein
hatte ich noch nicht wiedergefunden, wie denn auch, so ganz ohne Perspektive.
Und meinen Traum nach einer großen, intakten Familie – den hatte ich noch nicht
aufgegeben.
Wenn ich Bekannten erzählte, dass ich in Tunesien gelebt hatte,
stieß ich meistens auf Interesse und wurde gefragt, wie es in diesem Land so
sei. Dann verlor ich mich in Erinnerungen, berichtete von dem Leben dort, den
Soukhs, der Sonne und dem Meer, und dann kam die Frage: »Warum sind Sie denn
wieder nach Deutschland gezogen?«
Diese Frage konnte ich immer weniger beantworten. Ich wusste es
nicht. Deshalb sprach ich auch nicht mehr mit anderen, ich kapselte mich ab und
vermied jeden Kontakt.
Was nur sollte ich tun?
Emira wollte hierbleiben. Doch in Deutschland hatten wir keine
Zukunft, das kristallisierte sich immer deutlicher heraus.
Auf einer längeren Bahnfahrt kam ich mit einem älteren Mann ins
Gespräch. Schnell wechselte unsere Unterhaltung von einer oberflächlichen auf
eine tiefere Ebene.
Der Mann erzählte mir, wie sehr er darunter leide, dass Deutschland
eine so schwere Last trage. »Diesem Land fehlt es an Leichtigkeit«, diagnostizierte
er. »Es hat die Schrecknisse des Nationalsozialismus noch lange nicht
überwunden. Sensible Menschen spüren dies.«
Ich wusste, wovon er sprach, und nickte.
»Auch wenn nun eine neue Generation heranwachsen mag«, sagte der
ältere Herr, »wir Alten und auch unsere Kinder und Enkel leiden noch immer
unter den Geschehnissen der Vergangenheit. Es ist ein schweres Erbe, Deutscher
zu sein.«
Ich hätte dem Mann gern widersprochen, doch als er mich fragte, ob
ich stolz auf Deutschland sei, merkte ich, dass es mir schwerfiel, es zu sagen,
einfach so. Ich musste es begründen. Ja, ich liebe Deutschland wegen seiner
Dichter und Denker, aber war ich stolz, eine Deutsche zu sein? Ich erzählte dem
Mann von Tunesien, und er bestärkte mich, es noch einmal dort zu versuchen.
»Probieren Sie es aus! Sie können ja jederzeit zurück. Was soll
Ihnen schon passieren? Sie sind jung, Sie haben Ihr Leben noch vor sich.«
Und genauso sah ich es eines Tages auch. Was sollte
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