Flucht in die Hoffnung
wir in Panik, besonders als wir
merkten, dass auch Walid in Panik geriet. Ich war unendlich erleichtert, dass
Emira nicht bei uns war. Die Sorge um sie hätte mich verrückt gemacht. Endlich
tauchten die Lichter eines Jeeps in der Ferne auf. Er fuhr nach links und nach
rechts, wir riefen und winkten, umsonst. Der Jeep drehte ab, um woanders nach
uns zu suchen. In meiner Verzweiflung steckte ich zwei Finger in den Mund und
ließ meinen schrillsten Pfiff gellen, und das gleich mehrmals. Mohamed fiel
fast vom Kamel, so sehr erschrak er. Auch Walid war fassungslos. Wie konnte ich
als Frau so etwas tun!, meinte ich in ihren Gesichtern
zu lesen. Mein Pfiff weckte wahrscheinlich die ganze Wüste auf – und auch die
Insassen des Jeeps hörten ihn und retteten Mohamed und mich. Walid sollte mit
den Kamelen folgen.
Doch bis wir wieder am Zelt waren, dauerte es noch eine Weile, denn
der Jeep blieb in einer Düne stecken. Mir kam es vor wie eine Ewigkeit, bis die
Männer das Auto ausgegraben hatten. Am nächsten Morgen litten wir dermaßen
unter Schmerzen von dem langen Ritt, dass wir uns kaum bewegen konnten, und
sollten schon wieder reiten! Zuerst konnte ich es mir nicht vorstellen, doch
als ich dann auf einem wunderschön geschmückten feurigen Pferd saß und durch
die Wüste galoppierte, war ich überglücklich. Dieser Ausflug gehört zu meinen
schönsten Erinnerungen in Tunesien – im Gegensatz zu Mohameds. Nachdem er sich
in der Nacht zuvor entsetzliche Sorgen gemacht hatte, ob wir jemals wieder aus
der Wüste herausfinden würden, und sich die Verantwortung für alles gegeben hatte – schließlich war Walid sein Freund –, sollte er nun auch noch auf einem Pferd
sitzen und galoppieren! Das war zu viel für ihn. Er hatte sich doch nur nach
ein bisschen romantischer Zweisamkeit unter dem Sternenzelt der Wüste gesehnt.
Von Abenteuern hatte er genug.
Auf der Heimfahrt erlitt er beinahe einen Nervenzusammenbruch.
Obwohl es in dieser Gegend streng verboten war, die Hauptstraße zu verlassen,
bog ich in einen Seitenweg ab, und dort fanden wir endlich zueinander.
DIE SCHEIDUNG
Im November 2007 wurden Farid und ich im Zuge einer kurzen
Gerichtsverhandlung problemlos geschieden, da wir unsere gegenseitigen Vorwürfe
zurückgezogen hatten. Farid erhielt das Sorgerecht für Emira, weil sie bei seiner
Familie lebte. Es wurde ihm jedoch auferlegt, in die Nähe seiner Tochter zu
ziehen, wozu er sich schriftlich verpflichtete. Mir wurde zugesprochen, einen
Teil der Ferien mit Emira zu verbringen, ferner durfte ich sie besuchen. Ich
war unendlich erleichtert, dass das Kapitel Farid nun abgeschlossen war.
Endlich konnte ich wieder frei atmen. Endlich konnte ich Kraft schöpfen, um
Pläne zu schmieden, wie ich Emira ganz zu mir holen konnte. Denn das war es,
was ich vorhatte. Auch wenn ich mich vergewissert hatte, dass es Emira gut
ging, war klar, dass dies nur eine Übergangsphase sein konnte. Ich rechnete
nicht damit, dass Farid dem Gerichtsbeschluss Folge leisten und in ihre Nähe
ziehen würde. Das würde mir eine zusätzliche Grundlage in die Hand spielen, um
erfolgreich um das Sorgerecht zu klagen.
Mohamed und ich spielten mit dem Gedanken, ob ich in Tunis eine
Wohnung für uns mieten sollte, dann wäre ich nicht mehr 500 Kilometer, sondern
nur noch 100 Kilometer von Emira entfernt und könnte sie öfter besuchen. Doch
Tunis war ein teures Pflaster, und so beschlossen wir, dass Mohamed nach Djerba
zurückkehren sollte. Hier wollten wir eine Existenz gründen, und hier sollte
auch Emiras zukünftiges Zuhause sein. Ich fragte meinen Vermieter, ob er ein
Auge zudrücken würde, wenn Mohamed bei mir übernachtete. Ein unverheiratetes
Paar durfte nicht nach Lust und Laune zusammen sein. Darauf stand Gefängnis;
mein Vermieter würde sich womöglich mitschuldig machen. Er musste also
wegsehen, sobald ich Mohamed heimlich in meine Wohnung schmuggelte. Tunesische
Frauen, die »so etwas« trieben, galten als Schlampen, die sich noch dazu
strafbar machten. Sie konnten sich allerdings freikaufen, wenn sie sich nett
gegenüber der Polizei verhielten. Touristinnen, die ohnehin als Schlampen
galten, wurden selten belangt. Doch konnte ich mich darauf verlassen, als
Touristin behandelt zu werden? Ich lebte nun schon so viele Jahre im Land, und
Farids Arm, das vergaß ich nie, war lang.
Viel später erst erzählte mir Mohamed, dass er nach seiner Rückkehr
zu mir einige Male bei der Polizei vorgeladen und zu unserer Beziehung
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