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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Rothkamm
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ich erst
viel später, als ich mich telefonisch bei der deutschen Botschaft erkundigte,
weil ich Emiras Pass nicht zurückbekam. Man versicherte mir, eine sogenannte
Verbalnote an das Innenministerium zu senden, mit der Bitte um Auslieferung des
Passes. Leider hörte ich in der Folge nichts mehr von der deutschen Botschaft.
Aber das lag an diesem Tag noch in ferner Zukunft. Jetzt waren erst einmal
Ferien, und die würden wir genießen, jede einzelne Sekunde davon.
    Überglücklich fuhr ich mit Emira Richtung Djerba. Immer wieder
musste ich sie anfassen, um mich zu versichern, dass sie wirklich da war. Auf
einmal verdunkelte sich der Himmel, und ein Sommergewitter brach los: der erste
Regen seit einer langen Trockenheit. Was für ein herrlicher Beginn für dreieinhalb
Monate Ferien! Ich hielt den Wagen an.
    »Komm, Emira! Steig aus.«
    »Aber Mama, es regnet.«
    »Komm raus! Tanz mit mir.«
    »Dann werde ich nass!«
    »Das macht nichts, Emira!«, rief ich, denn
ich wünschte mir so sehr, dass sie wieder zu einem fröhlichen Kind wurde. Ich
wollte ihr zeigen, dass es noch ein anderes Leben gab als das innerhalb der
engen Mauern in M’Saken.
    Emira und ich tanzten im Regen. Und später machten wir Pipi im
Straßengraben, obwohl das total haram war,
strengstens verboten für Frauen.
    Unser Wunsch, die Ferien für Emira schön zu gestalten, wurde
Wirklichkeit. Der Sommer verlief wie ein einziges Freudenfest. Jeden Tag kam
ein Stück mehr von meiner Tochter zum Vorschein. Die Schwere von M’Saken fiel
von ihr ab, sie lachte viel, wirkte fröhlich und nahm auch zu. Dies konnte mich
jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Emira bei ihren Großeltern nicht gut
aufgehoben war. In ihren Alltag hatten sich sonderbare Gewohnheiten
eingeschlichen. So ertappte ich sie dabei, wie sie eigenartige Sprüche
aufsagte, beispielsweise wenn sie zur Toilette ging.
    »Was flüsterst du da vor dich hin?«, fragte
ich sie, obwohl ich es zum Teil verstanden hatte.
    »Wenn man auf Toilette geht, muss man sagen: Allah
huma ini aoudu mine el krupsi oulchawelli. Und wenn man aus der Toilette
kommt, muss man sagen: Ruferanek .«
    »Und was heißt das?«
    »Danke, lieber Gott, dass ich Pipi gemacht habe. Man darf auch nur
mit dem linken Fuß in die Toilette gehen, mit dem linken rein, mit dem rechten
raus. Sonst kommt der Teufel.«
    Der Teufel spielte nun eine große Rolle in Emiras Leben – und das
bedrückte mich. Behutsam versuchte ich ihr zu erklären, dass der Teufel nicht
allgegenwärtig war. Ich musste mich zum Glück kaum anstrengen, denn Emira griff
dankbar und erleichtert auf, was ich ihr erklärte. Doch es zeigte mir, dass sie
einfach nicht nach M’Saken passte. Sie geriet eher nach mir. Wie war sie in
Deutschland im Waldorfkindergarten aufgeblüht! Diese Zeit, in der sie sich frei
und ihrem Wesen gemäß hatte entfalten können, hatte sie geprägt, das durfte ihr
nicht verloren gehen. Doch jetzt sah ihre Realität anders aus.
    Von all den Geschichten, die sie mir aus ihrem Alltag bei den
Großeltern erzählte, ist mir eine unvergesslich ins Gedächtnis gebrannt – und
Emira auch: Omas Gutenachtgeschichte für die damals Fünfjährige.
    Wenn du stirbst, kommen drei Engel zu dir.
Der eine fragt: »Wie heißt dein Buch?« Du musst
»Koran« sagen. Wenn du es nicht sagst, kommt ein Riesenmann. Der hat keine
Ohren und keine Augen. Aber er hat einen großen Hammer dabei, und mit dem haut
er dich und zerquetscht deinen Kopf. Aber der liebe Gott macht den Kopf wieder
heile. Dann verquetscht der böse Mann den Kopf noch einmal und noch einmal, bis
der liebe Gott es nicht mehr hinkriegt, dass dein Kopf heile wird. Dann wirst
du vom zweiten Engel gefragt: »Was ist dein Prophet?«
Du musst »Mohammed« sagen. Wenn du das nicht sagst, wird dein Kopf wieder
zerquetscht. Der dritte Engel fragt: »An was glaubst du?«
Du musst antworten: »An Allah.« Sonst kommt der
Kopfzerquetscher, bis nur noch Brei von deinem Kopf übrig ist. Allein Allah
kann dich retten. Allah akbar. Gott ist groß.
    Ich erklärte Emira, dass Engel keinem Menschen etwas Böses
zufügen würden.
    »Lügt die Oma?«, wollte Emira daraufhin
wissen.
    »Nein«, log ich. »Sie erzählt dir das, weil sie möchte, dass du an
den Koran glaubst.«
    »Aber das muss ich doch sowieso, sonst kommt der Kopfverquetscher,
und weißt du, Mama, das will ich ganz bestimmt nicht, weil das sehr, sehr
wehtut! Das hat die Oma gesagt.« Emira riss die Augen
auf und hob mahnend den Zeigefinger.

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