Flucht in die Hoffnung
befragt
wurde. Doch er hatte Glück und wurde von einem ihm wohlgesonnenen Beamten
verhört, sodass er nicht im Gefängnis landete. Mohamed stritt vehement ab, eine
Beziehung mit mir zu unterhalten. Er sei lediglich mit mir befreundet – was
ebenfalls nicht erlaubt war. Männer und Frauen konnten nicht befreundet sein.
Mohamed erklärte den Polizisten daraufhin, dass es für »die Ausländerin«
manchmal schwierig sei, die tunesische Lebensart zu verstehen, und dass er ihr
dabei helfe, da ihm daran liege, sein wunderbares Land im bestmöglichen Licht
zu präsentieren.
»Sie wollen mir weismachen, dass Sie als eine Art Botschafter
Tunesiens fungieren?«, fragte ihn einmal ein höherer
Beamter.
»Das maße ich mir nicht an«, erwiderte Mohamed, der noch immer wenig
sprach, sich jedoch sehr gewählt ausdrücken konnte. »Doch es wäre mir natürlich
eine Ehre.«
Man glaubte ihm nicht, doch man ließ ihn frei – bis zur nächsten
Vorladung. Einmal wurde er jedoch geschlagen, denn: »Wenn der frühere Ehemann
Ihrer sogenannten Freundin ein normaler Mensch wäre, könnte man über Ihr
Verhalten hinwegsehen, doch da der Ehemann ein angesehener Arzt ist, laden Sie
schwere Schuld auf sich.«
Selbstverständlich existieren keine Unterlagen zu diesen
Vernehmungen.
Mohamed vertraute mir nun auch an, dass er schon lange ein Auge auf
mich geworfen hatte, doch nicht im Traum habe er zu hoffen gewagt, jemals mein
Herz zu erobern. Wie auch, ich war ja eine verheiratete Frau gewesen.
Eines Tages beschlossen wir, das Risiko zu wagen: Wir meldeten
Mohamed bei mir an, legalisierten sozusagen unsere Beziehung, obwohl das eigentlich
nicht möglich war. Da mein Vermieter ein angesehener Notar war, hoffte ich,
dies möge als mildernder Umstand wirken. Und tatsächlich – niemand behelligte
uns. Mohamed arbeitete mittlerweile als Stuckateur, und ich hatte nun endlich
auch eine Idee, wie ich in Tunesien Geld verdienen könnte.
Ich plante, ein Fitnessstudio in Djerba zu eröffnen. Diese Idee
erschien mir zukunftsträchtiger als eine Anstellung in der Tourismusbranche, in
der zu jener Zeit eine Flaute herrschte. Zudem wurden von den großen
Reiseveranstaltern nur ungern Mitarbeiter angestellt, die im Land selbst
lebten. Es wäre auch schwierig, Emira unterzubringen, wenn ich mehrere Hotels
betreuen und daher ständig unterwegs sein müsste. Ich brauchte einen Job, bei
dem ich mir meine Zeit kinderfreundlich einteilen konnte. Da war ein eigenes
Studio wie geschaffen.
Zur Fitnessmesse flog ich nach Deutschland und deckte mich mit
Matten, Gymnastikbällen und anderen Utensilien ein, die ich in Tunesien nicht bekommen
würde. Meine Oma versorgte mich mit Startkapital für meine Geschäftsidee, die
ihr erfolgversprechend erschien. Fitnessstudios boomten zu dieser Zeit in
Deutschland, und was in Europa angesagt war, schwappte mit einiger Verzögerung
stets nach Tunesien. Es gab auf Djerba kein Fitnessstudio für Frauen, wie ich
recherchiert hatte. Um auch die tunesischen Frauen anzulocken, plante ich eine
optimale Mischung aus Fitness und Entspannung. Bei Ikea kaufte ich massenweise
Spiegel; ich besorgte eine Stereoanlage und einen Computer. Mohamed sollte sich
im Studio um die Bürokratie kümmern. Wir waren beide begeistert, als wir
geeignete Räumlichkeiten fanden. Nichts schien unserem Erfolg im Wege zu
stehen. Bald würde ich verdienen, vielleicht nicht viel am Anfang, aber genug,
um den Nachweis zu erbringen, dass ich Emira ernähren konnte.
Am Wochenende vor der Unterzeichnung des Mietvertrages besuchte ich
Emira – und erschrak zutiefst. Ich erkannte meine quirlige, fröhliche Tochter
kaum wieder. Sie war stark abgemagert, und auf ihrem Kopf entdeckte ich einige
kahle Stellen. Was war geschehen? Ich betrachtete sie eingehend. Ihr gesamtes
Wesen hatte sich verändert. Wo war mein lebensfrohes Kind geblieben? Anfangs
war sie doch glücklich hier gewesen. Und jetzt?
Emira bewegte sich steif wie eine Marionette und sprach nur wenig.
Fremd kam sie mir vor, und es machte mich unendlich traurig, sie in diesem Zustand
zu sehen. Nun war sie schon acht Monate in der Vorschule in M’Saken, und der
Drill dort tat ihr offensichtlich nicht gut.
Ich hatte ihr eine sprechende Puppe aus Deutschland mitgebracht, sie
freute sich gar nicht richtig darüber, vielleicht weil sie wusste, dass sie ihr
weggenommen werden würde, wie alle anderen Spielsachen auch, die eher als Deko
behandelt wurden. Und wenn damit gespielt wurde, dann war es nicht
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