Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Rothkamm
Vom Netzwerk:
»Sehr, sehr weh.«
Leibhaftig sah ich ihre Großmutter vor mir und musste mir ein Grinsen
verkneifen. In Emira steckte eine begnadete Komödiantin.
    »Du darfst nicht alles glauben, was dir die Leute in M’Saken
erzählen. Die wollen dir bloß Angst machen.«
    »Aber warum wollen sie mir Angst machen?«
    »Damit du tust, was sie von dir verlangen.«
    »Aber Mama, die glauben das wirklich, was sie sagen. Alle Kinder
glauben das.«
    »Ja. Die Erwachsenen glauben es vielleicht auch.«
    »Und was glauben wir, Mama?«
    »Wir glauben auch an Gott. Aber unser Gott lässt es nicht zu, dass
einem der Kopf zerquetscht wird«, sagte ich. Und dachte im Stillen bei mir: Da
werden nur die Hände und Füße seines Sohnes durchgenagelt.
    Emira und Mohamed verstanden sich wunderbar. Der einzige
Wermutstropfen war, dass Elsa nicht bei uns war. Der Labrador war Mohameds
Cousin, der während unserer Flucht auf sie aufgepasst hatte, gestohlen worden.
Da Rassehunde in Tunesien sehr begehrt sind, konnten wir zumindest davon
ausgehen, dass Elsa einen guten Platz gefunden hatte.
    Bei all der Freude mit Emira fehlte mir die Zeit für meine
Geschäftsidee, und ich beschloss, mich im Herbst um das Fitnessstudio zu
kümmern. Jetzt war es ohnehin zu heiß; bei vierzig Grad Tagestemperatur würde
niemand trainieren wollen.
    Dennoch musste ich von etwas leben. In Tunesien ist es üblich, dass
geschiedene Frauen Unterhalt von ihren Exmännern bekommen. Aus diesem Grund traf
ich mich öfter mit meinem Anwalt und besprach die weitere Vorgehensweise. Meine
Forderung von achthundert Dinar, zirka fünfhundert Euro, wurde von Farids
Anwalt auf dreihundert Dinar gedrückt. Zweihundert Dinar betrug allein die
Miete für unsere Wohnung. Hundert Dinar waren
definitiv zu wenig für unseren Unterhalt. Wie sollten wir davon leben?
    Farid baute zu dieser Zeit mehrere Häuser und hatte nebenbei noch
Geld übrig, sich ein neues Auto anzuschaffen. Dennoch erklärte er über seinen Anwalt,
dass er mir maximal zweihundert Dinar zukommen lassen
könnte, weil im Winter kaum Touristen auf der Insel seien und er selbst nicht
wisse, wie er über die Runden kommen solle. Da Farid selten pünktlich zahlte,
musste ich häufig zum Gericht gehen und seine Säumnis anzeigen. Wenn ein tunesischer
Mann seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt, riskiert er eine
Gefängnisstrafe. Farids bezahlte stets am letzten Tag der Frist, die ihm
gesetzt wurde. Dann begann sein Spiel von vorn, reine Zermürbungstaktik.
    Diese Strategie warf bei Gericht ein schlechtes Licht auf ihn. Eines
Tages, kurz vor dem Ende der Sommerferien, nahm ich all meinen Mut zusammen und
bat einen Richter um Rat.
    »Ich glaube, Emira geht es bei der Familie meines Exmannes nicht
gut. Hier auf Djerba fühlt sie sich wohl, und sie möchte unbedingt bei mir
bleiben. Was kann ich tun? Gibt es irgendeine Möglichkeit für mich, meine
Tochter hierzubehalten?«
    »Bringen Sie das Kind nach Ablauf der Ferien nicht zurück.«
    »Aber geht das denn? Was passiert dann?«
    »Wenn das Kind nicht möchte, dann sollte es nicht gegen seinen
Willen bei der Familie Ihres geschiedenen Mannes bleiben.«
Er räusperte sich. »Ihre Tochter ist nun allerdings schulpflichtig. Das würde
bedeuten, sie müsste an ihrem Wohnort eingeschult werden. Die Schulpflicht kann
nicht umgangen werden.«
    »Danke«, flüsterte ich atemlos.
    Emira bat mich seit Tagen, ob sie nicht bei mir bleiben könnte.
Stets hatte ich sie vertrösten müssen. Bald. Irgendwann.
Noch nicht. Es hatte mir schier das Herz gebrochen, wie ihre
Fröhlichkeit zum Ende der Ferien schrumpfte, wie sie all ihren Glanz zu
verlieren drohte, als der schwarze Schatten M’Saken näher rückte. Jetzt,
nachdem der Richter mir versichert hatte, sie könne nicht gegen ihren Willen
fortgebracht werden, hatte sich alles geändert. Ich machte ihr einen
offiziellen Magst-du-bei-Mama-bleiben-für-immer-Antrag.
    »Wirklich, Mama? Darf ich?«
    »Ja!«, lachte ich.
    Vor Freude drückte sie mir fast die Luft ab.
    Am nächsten Tag besichtigten wir eine Schule in der Nähe unserer
Wohnung. Emira gefiel sie auf Anhieb, und ich meldete sie dort an. Ich fühlte
mich sicher – schließlich hatte ich den Beistand des Richters … glaubte ich.
    Emira war schon drei Tage ein Schulkind, als Farid mich anrief.
    »Wo ist Emira?«
    »Bei mir.«
    »Sie müsste längst bei meiner Familie sein.«
    »Sie wollte nicht.«
    »Was sie will, spielt keine Rolle. Ich habe das Sorgerecht.«
    »Es spielt sehr wohl eine

Weitere Kostenlose Bücher