Flucht in die Hoffnung
ein hoher islamischer Feiertag am Ende des
Ramadan. Ich hatte nun zwar das Sorgerecht, doch Farid durfte die Sonn- und
Feiertage mit Emira verbringen, und darauf pochte er.
»Aber Farid! Es ist unser vorletzter Tag!«
»Ich sehe meine Tochter an Sonn- und Feiertagen«, erwiderte er hart.
»Wir haben doch besprochen, dass du darauf verzichtest, wenn ich in
den Ferien in Tunesien bin!« Ich schluckte die
Bemerkung hinunter, dass Emira in M’Saken viele Sonn- und Feiertage ohne ihren
Vater hatte verbringen müssen.
»Die Sonn- und Feiertage sind mein Recht«, wiederholte er wie ein
Automat. »Ich werde sie um zwölf Uhr Mittag zum Zuckerfest abholen.«
»Farid, ich gebe dir Emira, sprich selbst mit ihr.«
Emira weinte ins Telefon »Ich will nicht zum Zuckerfest. Wir machen
doch dann Piratenschiffkrieg mit Wasserschlacht!«
» Haram «, sagte Farid, obwohl ihm das sonst
herzlich egal war. »An Aid darf man nicht schwimmen.«
Da gab Emira klein bei. Als ich mich später erkundigte, stellte sich
heraus, dass noch niemand von dieser Regel gehört hatte, dass man an Aid nicht
ins Wasser dürfe. Hauptsache, man zeigte als Frau keine nackte Haut.
Ich dachte lange über das Telefonat nach, und mich überlief es
heiß und kalt, denn ich fürchtete, Farid könne ahnen, dass ich mit Emira
ausreisen wollte. Wollte er sie mir deshalb vorher wegnehmen? Ich wusste ja,
dass er den Ramadan nicht einhielt, warum drängte er dann plötzlich darauf,
dieses Jahr das Aid-Fest mit ihr zu feiern? Wollte er verhindern, dass sie bis
zu meinem Abflug bei mir blieb?
Ohne es auszusprechen, war die heiße Phase des Krieges um unsere
Tochter eröffnet. Emira und ich mussten weg. Schnell. Vor dem Zuckerfest.
Als Emira am Nachmittag am Pool von einem fremden Mann angesprochen
wurde, der wissen wollte, ob sie die Tochter des Arztes sei, war mir klar, dass
wir abermals unter Beobachtung standen. Vermutlich hatte Farid seine Spione im
Hotel.
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion verließen Emira und ich heimlich das
Hotel. Die beiden deutschen Animateurinnen hatten mir einen Fahrer vermittelt,
dem wir vertrauen konnten. Als wir das Sicherheitshäuschen passierten, lenkten
die beiden die diensthabenden Männer ab. Vor dem Hotel wurde die Lage von zwei
Freunden Mohameds überwacht, die er telefonisch zu Hilfe gerufen hatte, unsere
persönliche Security sozusagen.
Ungehindert verließen Emira und ich das Hotel. Der Fahrer brachte
mich zu einer seiner Bekannten, wo wir eine Nacht bleiben konnten. Ich tat kein
Auge zu und dachte über meinen nächsten Plan nach. Ich kannte einen
Reiseleiter, mit dem ich bereits im Hotel Kontakt aufgenommen hatte. Er riet
mir, eine Reise nach Libyen zu buchen. Ich musste nur noch ein Visum in Tunis
für Emira, Elias und mich besorgen. Ob das so einfach wäre? Würde Farid von
Amtsseite darüber informiert werden?
Am nächsten Tag meldete sich Mohameds Onkel bei mir. Er hatte einen
Mann kennengelernt, der zugesagt hatte, uns über die grüne Grenze nach Libyen
zu bringen. Das klang großartig. So brauchte ich auf kein vages Visum zu warten
und sparte Zeit und Geld.
»Aber es ist gefährlich!«, rief Mohamed am
Telefon außer sich.
»Dein Onkel wird uns ein Stück begleiten.«
Da beruhigte er sich.
Doch dann meldete sich der Kontaktmann nicht mehr bei Mohameds
Onkel. Also doch ein Visum in Tunis beantragen? Ich fürchtete mich vor der
langen Fahrt, denn Farid war mir auf den Fersen. Ich hatte erfahren, dass er
mich angezeigt hatte, wahrscheinlich mit der Begründung, ich würde ihm sein
Kind wegnehmen, da er es am Zuckerfest Aid nicht gesehen
hatte. Nun wurden wir also von der Polizei gesucht. Tunis und das Visum konnten
wir damit von der Liste unserer Möglichkeiten streichen. Ich mietete ein Auto
und fuhr in Begleitung von Mohameds Onkel in den Süden, nach Douz. Bis zur libyschen
Grenze war es nicht weit, hierher zog es mich magisch. Emira und ich waren
krank vor Angst, im Gegensatz zu Elias, der, noch nicht einmal ein Jahr alt,
viel zu klein war, von der Flucht etwas mitzubekommen. Ein Freund von Mohamed
besorgte uns ein Zimmer in einem Hotel, ohne dass wir uns dort anmelden
mussten. Ein Freund von Mohameds Onkel riet uns dringend, nach Tunis zurückzukehren,
denn die Grenzen in Libyen seien im Moment dicht. Ein anderer Freund Mohameds
empfahl uns, bei der Botschaft meines Landes in Tunis vorzusprechen.
Was sollten wir tun? Meine Gedanken kreisten ununterbrochen. Da die
Grenze zu Libyen tatsächlich dicht war,
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