Flucht in die Hoffnung
kritischer Geist. Und
ein Schauspieltalent obendrein!
Im Ramadan verbrachten wir zwei Wochen in den Bergen bei
Mohameds Familie. Dort war es extrem heiß, weit über vierzig Grad, einmal sogar
tagelang über fünfundvierzig Grad – im Schatten wohlgemerkt. Emira, Elias und
ich bekamen trotz der unsäglichen Hitze eine schwere Erkältung, Elias zusätzlich
eine Infektion. Ich machte mir große Sorgen um ihn und brachte ihn ins
Krankenhaus. Dann stürzte Emira von einem Felsvorsprung; wieder fuhr ich ins
Krankenhaus, doch es war zum Glück nichts gebrochen. Wir waren alle ziemlich
angeschlagen, als wir nach Djerba zurückkehrten, wo wir meine Oma und ihre
Freundin trafen. Jetzt sollte unser Urlaub beginnen: zwei Wochen im
Sternehotel!
»Ich glaube, ich werde alt«, gestand ich meiner Oma eines Abends.
»Ich finde diesen Luxus hier wunderbar!« Vor gar nicht
so langer Zeit war es genau umgekehrt gewesen, da fand der tollste Urlaub, den
ich mir nur vorstellen konnte, bei Mohameds Familie in den Bergen statt. Doch
diesmal hatte es mich dort angestrengt. Ich hatte ihnen auch nicht helfen können
bei der Arbeit, ich hatte doch immer den kleinen Elias auf dem Arm.
»Ich verstehe dich«, nickte meine Oma. »Ich bin ja auch schon älter.«
»Oma, du bist vierundneunzig!«
»Manchmal fühle ich mich aber wirklich alt«, gab sie schlagfertig
zurück.
DECKNAME SABRINA
Emira war begeistert davon, Touristin zu sein. Endlich war
sie ein richtiger Gast und nicht bloß geduldet in den Hotels, in denen ihr
Vater sie bei der Animation abgab, um seine Sonn- und Feiertage nach eigenem
Gutdünken zu gestalten. Sie blühte förmlich auf und konnte nicht genug bekommen
vom Unterhaltungsprogramm. Sie nahm auch zu und sah rundum glücklich aus. Ich
war nicht so entspannt wie meine Tochter, denn nach wie vor suchte ich
verzweifelt nach dem Hintertürchen, durch das wir gemeinsam schlüpfen konnten.
In all der Not hatte ich einen neuen Plan geschmiedet, und der zehrte und
zerrte an meinen Nerven.
Ich wollte unter den Gästen ein Kind finden, das Emira ähnlich sah.
Dann würde ich seine Eltern bitten, mir den Pass ihrer Tochter zu geben. Mit
diesem Pass wollte ich ausreisen. Die Eltern sollten den Pass gestohlen melden
und einen neuen beantragen, mit dem sie und ihr Kind dann ausreisen konnten.
Eines Tages sah ich ein Mädchen, das Emira in der Tat ähnelte; Sabrina hieß es,
wie ich in Erfahrung brachte. Mir wurde übel vor Aufregung. Ich wagte es nicht,
die Eltern einfach so anzusprechen, und weihte zwei junge deutsche Frauen, die
als Animateurinnen im Kinderclub arbeiteten, in meinen Plan ein. Beide mochten
Emira sehr gern und versprachen mir, sich für uns einzusetzen. Sie fühlten bei
den Eltern des Mädchens vor, und die erklärten sich zu einem Treffen bereit.
Das nette Ehepaar aus München verstand meine Notlage, und Sabrinas Vater
beschäftigte sich einen Tag lang mit allen Eventualitäten.
»Es tut mir leid«, sagte er dann. »Das kann nicht funktionieren.
Denn wenn Emira mit Sabrinas Pass ausreist, ist Sabrina ja als ausgereist im
Computer gespeichert. Das heißt, wenn wir einige Tage nach Ihnen mit Sabrina
ausreisen wollten, wäre sie laut der Daten der hiesigen Behörden bereits außer
Landes, und da wir ihren Pass als gestohlen gemeldet hätten, könnten wir
Schwierigkeiten bekommen.«
Ich brach in Tränen aus. Mein schöner Plan! Wieder war eine Hoffnung
geplatzt.
»Bitte verzweifeln Sie nicht«, bat mich der Mann. »Ich habe eine
andere Idee.«
»Ja?« Ich beugte mich vor.
»Wir reisen aus, ich schicke Ihnen Sabrinas Pass von München aus per
Eilsendung – und dann versuchen Sie Ihr Glück.«
»Das ist wahnsinnig nett«, stammelte ich.
»Leider weiß ich nicht, ob es funktioniert, denn Sie stehen vor
demselben Problem. Doch vielleicht gelingt es Ihnen, einen zweiten
Einreisestempel in den Pass zu bekommen – Menschen am Computer machen Fehler,
es könnte sich jemand vertippt haben …«
Ich fiel dem Mann um den Hals.
Die Familie flog ab, drei Tage später erhielt ich eine
Eilzustellung. Mit zitternden Händen öffnete ich das Kuvert. Sabrinas Vater
hatte Wort gehalten und mir den Pass seiner Tochter geschickt. Doch wie sollte
ich an einen Einreisestempel kommen? Ich konnte es nur ohne ihn versuchen. In
letzter Zeit hatte ich so viel Glück gehabt, warum nicht noch einmal, ein
letztes Mal …
Doch dann meldete Farid sich. Am Tag vor unserer geplanten Rückkehr
nach Deutschland fand das Zuckerfest Aid statt,
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