Flucht in die Hoffnung
Wahnsinnigen von uns
ab. Mit Emira an der Hand und Elias auf dem Arm rannte ich zu unserem
Chauffeur, der mir als Augenzeuge versprach, diesen Vorfall bei der Polizei zu
Protokoll zu geben. Wir fuhren ins Krankenhaus, weil Emiras Schulter schmerzte,
ihr rechter Arm war mit roten Abdrücken übersät und blutete an einer Stelle.
Wir brauchten lang, bis wir uns von diesem Schrecken erholt
hatten. Wie sehnte ich mich nach Sicherheit. In Tunis, so spürte ich, waren wir
nicht sicher. Mohamed hatte am Telefon vorgeschlagen, ich sollte in die Nähe
seiner Eltern ziehen, wo unsere Möbel bereits in der Wohnung von Mohameds Onkel
untergestellt waren. Es wäre nicht nur wesentlich billiger, sondern auch
praktisch, wenn Emira in Toujane zur Schule gehe. Dort wären wir nicht so
allein, und es warf zudem ein gutes Licht auf unseren Plan, den Behörden und
Farid ein normales Leben vorzuspielen, denn sie wussten ja von Mohamed, und
selbstverständlich würde eine ehrbare Tunesierin nicht irgendwo in einer Großstadt
leben, sondern bei ihrer wenn auch weitläufigen Verwandtschaft. Das leuchtete
mir ein.
Zwar war Toujane das Kontrastprogramm zu Tunis, doch ich wollte
schließlich keine Wurzeln schlagen, nur so tun als ob. In Toujane gab es
praktisch nichts. Eine Hauptstraße, ein paar Häuser, viele davon verlassen. Die
Männer wirkten ein bisschen wie Türsteher, die Frauen blieben im Haus, nicht
mal einkaufen durften sie. Emira und ich fühlten uns jedenfalls sicher. Unsere
Wohnung – drei Zimmer mit Küche und kleinem Bad – befand sich gegenüber dem
Gymnasium, und davor patrouillierte ein Wachmann. Mohameds Vater bat ihn, ein
Auge auf uns zu werfen. Und nicht nur er. Das ganze Dorf passte auf uns auf,
denn wir gehörten zu Mohameds Familie. Außerdem hatte ich zwei entzückende Kinder,
Mohameds Sohn und Emira, die charmant und aufgeweckt fast jeden um den Finger
wickelte.
Emira ging gern zur Schule und freundete sich schnell mit anderen
Kindern an, ich kümmerte mich um den Haushalt und um Elias. Wann immer ich
etwas brauchte, bekam ich Hilfe, und oft, wenn ich unsere Wohnung verließ,
heftete sich ein Verwandter von Mohameds Familie, die stündlich zu wachsen
schien, an meine Fersen. Um nicht noch mehr aufzufallen, trug ich ein Kopftuch,
was mir nichts ausmachte, da ich im Winter auch in Deutschland den Kopf
bedecke, weil ich nicht frieren möchte. Zu unserer Freude war die Wohnung mit
einem kleinen Gasofen ausgestattet, eine Besonderheit für tunesische
Verhältnisse. Endlich kamen wir zur Ruhe. Doch unser Aufenthalt in dem Dorf war
nur eine Zwischenstation. Die Gegend hier war ruhiger, aber das lag daran, dass
sie so verlassen war. Eine Zukunft für Mohamed, die Kinder und mich gab es hier
nicht.
Mohamed litt sehr unter meiner Abwesenheit, und er vermisste Elias
schmerzlich. Immerhin war es ihm ein Trost, dass wir so nah bei seiner Familie
lebten. Er ist ein sehr gutmütiger und geduldiger Mensch.
Ich wechselte den Anwalt, da ich nun in einem anderen Bezirk wohnte.
Vormals Djerba, jetzt Gabes. Erneut beantragte ich einen Ferienaufenthalt für
Emira in Deutschland, damit sie ihre Urgroßmütter besuchen könnte. Außerhalb
von Farids Einflussbereich rechnete ich mir Chancen aus, dass der Richter
zustimmte.
Wir scheiterten. Ich stürzte erneut in ein tiefes Loch. Mohamed
versuchte mich am Telefon wieder aufzurichten, was sicher nicht einfach für ihn
war, da er doch selbst unter der Situation litt. Wir machten uns gegenseitig
Mut. Das wird schon noch. Kommt Zeit, kommt Rat. Bestimmt
fällt uns eine Lösung ein.
Mir fiel aber nichts ein. Ich bemühte mich, meine
Niedergeschlagenheit vor Emira zu verbergen. Sie sollte die Gewissheit
verspüren, dass ihre Zukunft nicht in M’Saken enden würde, wie sie wohl befürchtete.
»Mama, stimmt das, dass ich bald einen Mann aus M’Saken heiraten
muss?«
Ich erschrak, sie war doch noch so klein. Doch ich sah sie mit
deutschen Augen, nicht mit denen ihrer tunesischen Großmutter. »Nein«,
beruhigte ich sie und war in diesem Moment nicht halb so zuversichtlich, wie
ich es mir wünschte.
Mohamed kam in Deutschland immer besser zurecht und versuchte
von dort aus, neue Wege zu finden, um Emira zu befreien. Ich schöpfte Hoffnung.
Irgendwie musste es doch eine Möglichkeit geben, ein ganz normales Leben zu
führen! Ich hatte nie daran geglaubt, von Deutschland aus etwas ausrichten zu
können. Doch wir mussten es versuchen.
Also fragte ich Mohameds Eltern, ob sie Emira für eine
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