Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
eigens angestellten Lehrer Unterricht.
"Ich bin ein strikter Gegner der Kinderarbeit", hatte er einmal zu ihr gesagt. "Kinder gehören in die Schule und nicht in die Fabriken."
Weder ihr Onkel Viktor noch Sir William teilten diese Meinung. In der Stoffabrik ihres Onkels arbeiteten unzählige Kinder täglich zehn Stunden. Und auch in der Spinnerei, die Sir William gehörte, schufteten Kinder fast ohne Pause von morgens bis abends. Königin Victoria hatte schon mehrere Gesetze erlassen, um die Kinderarbeit einzudämmen, gebracht hatten sie bisher noch nicht viel.
Unser Land braucht Männer wie Frederic, dachte sie.
"Fertig, Miss Curtis!" Elizabeth hielt ihr die Karte entgegen.
"Sehr schön, Elizabeth. Du kannst deinem Daddy die Karte geben, damit er sie nach London mitnimmt. Heute nachmittag, wenn du zum Tee zu ihnen hinuntergehst, ist eine gute Gelegenheit." Sie legte die Karte in ein Schubfach, damit sie nicht versehentlich beschmutzt wurde.
Lord Duncan erwartete die Damen bereits bei den Stallungen. Elizabeth trug ihren neuen Reitdreß und sah darin einfach zauberhaft auf. Sie lachte, als ihr Onkel sie schwungvoll auf ihr Pony hob. Vorläufig durfte sie nur an der Longe reiten, die von einem Stallburschen gehalten wurde.
"Eine gute Gelegenheit, mich auch einmal ganz offiziell mit Ihnen zu treffen, Miss Curtis", stellte Frederic fest. "Allerdings ist es am Tage nicht so romantisch. Finden Sie nicht auch?"
Darcey starrte angestrengt zu Elizabeth. "Sie reitet mit jedem Tag besser", sagte sie. "Lord Denham wird bald erlauben, daß sie, natürlich in Begleitung, kleinere Ausflüge unternehmen darf."
"Genießen Sie unsere heimlichen Treffen nicht auch, Miss Curtis?" fragte Frederic, ohne auf ihre Worte einzugehen.
"Sie wissen, daß wir etwas Verbotenes tun, Lord Duncan."
Er lehnte sich gegen das Gatter. "Wann werden Sie endlich damit beginnen, mich Frederic zu nennen?" fragte er. "In Gedanken sage ich schon längst Anabel zu Ihnen. Übrigens ein sehr hübscher Name. Er paßt zu Ihnen."
Ich heiße nicht Anabel, dachte Darcey unglücklich. Diese große Lüge, die zwischen ihnen stand, belastete sie von Tag zu Tag mehr. "Sie wissen, daß das nicht geht, Lord Duncan", antwortete sie. "Freundschaft zwischen Ihnen und mir darf es nicht geben."
"Und warum nicht?" Er berührte ihr rechte Hand, die auf dem Gatter lag. Es fiel ihm schwer, sie nicht einfach in die Arme zu nehmen. Bei ihm würde man darüber hinwegsehen, bei ihr jedoch nicht. Sein Schwager würde ihr kündigen und sie würde nie wieder eine gute Stelle als Gouvernante finden. Noch war er sich nicht hundertprozentig sicher, ob die Liebe, die er für sie empfand, mehr als nur ein Strohfeuer war.
"Das wissen Sie genau, Lord Duncan."
Der Stallmeister schaute zu ihnen hinüber. Lord Frederic erwiderte ruhig seinen Blick. "Wie Sie wissen, bleibe ich heute über Nacht auf Denham Manor", sagte er so gleichgültig, als würde er nicht mit einer Frau sprechen, in die er sich verliebt hatte. "Ich werde so gegen Mitternacht in den Ruinen der alten Kapelle sein." Er winkte zu Elizabeth hinüber. Das kleine Mädchen winkte zurück.
Darcey kannte die Ruinen. Sie stammten noch aus der Normanenzeit. Mitternacht war gut gewählt. Um diese Zeit hätten die meisten der Gäste bereits Denham Manor verlassen, und die anderen würden in ihren Betten liegen.
Den ganzen Nachmittag und den Abend über freute sich die junge Frau auf das Zusammensein mit Lord Frederic. Auch als sie nach dem Dinner den Gästen der Denhams vorspielen mußte, konnte sie an nichts anderes denken als an ihr Rendezvous. Sie mußte sich zwingen, während des Spiels nicht Frederics Blick zu suchen. Die Liebe, die sie in ihrem Herzen für ihn empfand, floß in ihr Spiel mit ein. Sie ahnte nichts von dem rosigen Hauch, der ihre Wangen bedeckte, und dem Strahlen ihrer Augen. 'Ich liebe dich, Frederic, ich liebe dich...', sprachen ihre Finger, während sie über die Tasten des Klaviers glitten.
Nach dem Spiel floh Darcey aus dem Musikzimmer. Sie eilte die Treppen hinauf. Im zweiten Stock begegnete ihr Mrs. Fletcher, die von Mrs. Hill kam, mit der sie bei einer Tasse Tee ein Schwätzchen gehalten hatte. Das Tablett in den Händen blieb sie stehen.
"Mrs. Hill und ich sind auf die Galerie hinausgetreten, um Ihrem Spiel zuzuhören, Miss Curtis", sagte sie. "Sie spielen wundervoll."
"Danke, Mrs. Fletcher", antwortete Darcey.
Die Wirtschafterin blickte sie ernst an. "Nicht nur Mrs. Hill und ich bewundern Ihr
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