Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
spürte eine tiefe Wut in sich. Wut und Eifersucht! Sie war auf Denham Manor aufgewachsen und hatte schon als kleines Mädchen Frederic geliebt. Wann immer er mit seinen Eltern und seiner Schwester zu Gast bei den Denhams gewesen war, hatte sie versucht, sich in seiner Nähe aufzuhalten. Anabel Curtis hatte kein Recht, nach Denham Manor zu kommen und sein Herz zu erobern. Wer war sie denn schon? Nur eine Gouvernante! Wie konnte sie es wagen, Lord Duncan schöne Augen zu machen?
Die letzten Gäste, auch Lord Frederic, reisten nach dem Lunch ab. Lord Denham bereitete sich darauf vor, am nächsten Tag nach London zurückzukehren. Die Glückwunschkarte, die seine kleine Tochter zur Geburt Prinz Arthurs gemalt und geschrieben hatte, steckte bereits in seinem Gepäck.
Lady Violette, die eben eine Unterredung mit ihrer Zofe gehabt hatte, suchte ihren Gatten in seinem Arbeitszimmer auf. Er merkte ihr sofort an, daß sie wegen eines sehr ernsten Problemes zu ihm kam.
"Ich störe dich gewiß nicht gern, Edward", sagte sie, "leider handelt es sich um eine Angelegenheit, die keinen Aufschub duldet."
"Bitte, nimm Platz, Violette." Lord Denham rückte einen Sessel für seine Gattin. "Was ist passiert?"
"Ich hoffe, daß noch nichts passiert ist", antwortete sie düster. "Es geht um meinen Bruder." Sie setzte sich sehr aufrecht in den dunklen Ledersessel und ordnete sorgfältig ihre Röcke. "Um meinen Bruder und Miss Curtis."
Lord Denham zog die Augenbrauen hoch. "Wie soll ich das verstehen, meine Liebe?" fragte er, wenngleich er sehr gut verstand. Was seine Gattin andeutete, war so ungeheuerlich, daß er es nicht wahrhaben wollte.
Lady Violette berichtete ihm, was sie vor wenigen Minuten von ihrer Zofe erfahren hatte.
* * *
Duncan Abbey, eines der schönsten Anwesen Cornwalls, erhob sich auf einem mit Eichen bewachsenen Hügel, der in der Mythologie der Kelten eine große Rolle gespielt hatte. Im zwölften Jahrhundert war auf ihm eine Zisterzienserabtei erbaut worden, die im sechzehnten Jahrhundert Heinrich 8. zum Opfer fiel, der Jahre später das Land den Duncans für ihre Treue zur Krone zum Geschenk machte.
Lord Duncan saß in der Bibliothek, als ihm sein Butler Lord Denham meldete. Überrascht bot er Edward Platz an. Er ahnte, daß es sich um keinen Höflichkeitsbesuch handelte, denn sie hatten ja erst vor wenigen Stunden voneinander Abschied genommen.
"Darf ich dir etwas anbieten, Edward?" fragte er.
"Danke, das ist nicht nötig, Frederic", antwortete Lord Denham steif und nahm Platz.
"Sie können gehen, Corney", sagte Frederic. Nachdem sich die Bibliothekstür hinter seinem Butler geschlossen hatte, fragte er: "Was verschafft mir das Vergnügen deines Besuches, Edward?" Er setzte sich gegenüber seinem Schwager in einen Lehnstuhl.
"Um ein Vergnügen handelt es sich nicht, Frederic", erklärte Lord Denham. Er musterte ihn schweigend. Erst nach einer Weile sagte er: "Ich kenne dich, seit du auf der Welt bist, Frederic. Deshalb kann und will ich nicht glauben, was mir heute zu Ohren gekommen ist."
"Was ist dir zu Ohren gekommen, Edward?" fragte der junge Lord, obwohl er ahnte, um was es ging. Ich hätte vorsichtiger sein müssen, dachte er. In was für eine Lage hatte er Anabel gebracht!
"Was ist zwischen dir und der Gouvernante meiner Tochter?" fragte Lord Denham direkt. "Ich kann mir nicht vorstellen, daß du dich soweit vergessen konntest, eine Beziehung zu Miss Curtis einzugehen, die deiner Erziehung und deiner Herkunft widerspricht."
"Ich habe mich in Miss Curtis verliebt, Edward", erwiderte Lord Frederic und blickte seinem Schwager in die Augen. "Miss Curtis ist eine bezaubernde junge Dame, deren Erziehung nichts zu wünschen übrigläßt."
Lord Denham stieß heftig den Atem aus. "Ich will dich nicht verurteilen, Frederic. Im Leben eines Mannes gibt es Situationen, in der er droht, mannigfaltigen Versuchungen zu erliegen, doch er sollte rechtzeitig aufwachen. Ich schätze Miss Curtis sehr und kann mir für Elizabeth keine bessere Gouvernante wünschen, sollte sich allerdings herausstellen, daß es sich bei ihr um ein liederliches Frauenzimmer handelt, wird sie noch heute Denham Manor verlassen."
"Beruhige dich, Edward, zwischen Miss Curtis und mir ist nichts vorgefallen, dessen wir uns schämen müßten. Sie ist eine sehr tugendhafte junge Dame."
Lord Edward atmete erleichtert auf. "Das klingt bedauernd, Frederic", stellte er fest. "Ich muß dich bitten, Miss Curtis nicht mehr allein zu treffen. Es
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