Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
gewesen, nicht Miss Marlows." Er straffte die Schultern. "Ich werde sofort nach Norwich fahren und ihren Vormund um ihre Hand bitten."
"Ich kann mir nicht vorstellen, daß Mr. Marlow einverstanden sein wird", meinte Lord Denham. "Das hieße ja, das abscheuliche Verhalten seines Mündels auch noch zu belohnen." Er schaute seinem Schwager ins Gesicht. "Überleg dir gut, was du tust, Frederic. Nicht nur deine gesellschaftliche Zukunft, sondern auch unsere hängt davon ab. Ein Skandal würde uns alle treffen."
"Es wird keinen Skandal geben", versprach Lord Frederic, "das kann ich euch versprechen." Er blickte aus dem Fenster in den Park, wo seine Nichte unter Aufsicht ihrer Nanny mit ihrem Reifen spielte. "Ich bin gern auf Denham Manor. Es würde mir leid tun, in Zukunft diesen Ort meiden zu müssen. Falls Miss Marlow einverstanden ist, mich zu heiraten, so werden wir es in Wales tun. Es wäre schön, wenn ich euch zu meiner Hochzeit begrüßen dürfte."
Abrupt drehte er sich um und verließ mit einem kurzen Gruß die Bibliothek. Wenig später stieg er in seinen Wagen und kehrte nach Duncan Abbey zurück, um alles für seine Reise nach Norwich vorzubereiten.
* * *
Darcey Marlow hatte längst aufgehört, die Tage zu zählen. Nachdem die Beauftragten ihres Onkels sie nach Norwich zurückgebracht hatten, hatten sie Lucy und Viktor Marlow in einen eigens für sie vorbereiteten Raum im obersten Stock des Hauses gesperrt. In aller Eile war ein massives Gitter vor den beiden Fenstern ihres Zimmers angebracht worden, zudem konnte sie die Fenster nur einen Spalt öffnen. Ihre Tür wurde nicht nur abgeschlossen, sondern auch von außen verriegelt. Es waren immer zwei Dienstboten, die sie mit Essen und Waschwasser versorgten. Auch bei ihren täglichen Spaziergängen im Garten wurde sie von zwei Bediensteten, die ihrem Onkel treu ergeben waren, begleitet. Niemand durfte mit ihr sprechen, so hatte es die junge Frau schon nach kurzer Zeit aufgegeben, Fragen zu stellen.
Verzweifelt saß sie auf der Fensterbank und blickte in den Garten hinunter. Mit den Gedanken war sie bei Frederic. Sie fragte sich, ob er inzwischen aus Wales zurückgekehrt war. Was hatte man ihm über sie erzählt? In den Augen der Denhams war sie weniger wert als eine Dirne. Er würde sie verachten, keinen Gedanken mehr an sie verschwenden.
Darcey strich sich über die Augen. Was nützte alles weinen? Sie hatte es längst aufgegeben. Es gab für sie keine Zukunft mehr, jedenfalls keine Zukunft, die glücklich sein würde. Ihr Onkel hatte davon gesprochen, sie mit einem Schiff außer Landes zu schaffen.
Alice hatte sie bisher nur fünfmal auf ihren Spaziergängen gesehen. Sie hatte ihr von ihrem Fenster aus zugewinkt. Ganz sicher war ihr verboten worden, auch nur in ihre Nähe zu kommen. Anfangs hatte sie gehofft, ihre Cousine würde einen Weg finden, um ihr zu helfen, aber auch diese Hoffnung hatte sie inzwischen begraben. Und auf ihren Cousin Richard brauchte sie erst gar nicht vertrauen. Er stand auf der Seite seiner Eltern.
Die junge Frau legte sich auf ihr Bett und starrte zur Decke hinauf. In diesem Zimmer gab es weder etwas zu lesen, noch zu schreiben. Selbst die Taschenuhr ihres Vaters war ihr weggenommen worden. Ihr Onkel verwahrte sie in seinem Schreibtisch. Das einzige, womit sie sich die Zeit vertreiben konnte, waren Handarbeiten.
"Es wird Zeit, daß du dir deiner Rolle als Frau bewußt wirst", hatte Viktor Marlow wütend erklärt. "Wir haben dir viel zu viel Freiheit gelassen. Weder deine Tante, noch ich hätten je gedacht, daß du uns unsere Liebe und Fürsorge so entlohnen wirst. Deine Eltern würden sich im Grabe herumdrehen, wenn sie davon wüßten."
Darcey verbarg ihr Gesicht in den Kissen. "Ich sehne mich so nach euch, Mummy", flüsterte sie. "Warum habt ihr mich allein gelassen? Warum?"
* * *
Lord Duncan hatte die letzten Tage auf der Eisenbahnstrecke von Bodmin nach London und von London nach Norwich verbracht. Persönlich zog er eine Fahrt mit der Kutsche vor, doch er hatte keine Zeit versäumen wollen. Darcey, oder vielmehr Anabel, wie er die junge Frau noch immer bei sich nannte, brauchte seine Hilfe. Er konnte nur hoffen, daß sie nicht bereits von ihrer Familie mit irgendeinem Mann verheiratet worden war, um die Sorge für sie los zu sein.
Als er am Abend in Norwich ankam, war es zu spät, um noch die Marlows aufzusuchen, deshalb nahm sich Frederic erst einmal ein Zimmer in einem Gasthaus. Am nächsten Morgen mietete er einen
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