Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
möchtest du gleich zu Bett gehen?"
"Ich würde die Suppe gerne essen, Mrs. Jones", antwortete Diana und blickte sich in der gemütlichen Wohnküche um. Die Petroleumlampe, die auf einem Tisch in der Nähe des Herdes stand, verbreitete ein anheimelndes Licht. Auf einer gepolsterten Bank unterhalb des Fensters lag lang ausgestreckt eine Katze, die sich nicht in ihrer Ruhe stören ließ.
"Leg erst einmal ab, Diana." Mrs. Jones befreite sich von ihrem Umhang und trug ihn ins Treppenhaus. "Wie geht es deiner Tante und ihrer Familie? Sind sie alle wohlauf? Deine Tante und ich..." Sie verzog das Gesicht. "Tut mir leid, Diana, daß du in Trauer bist. Es muß schrecklich für dich sein." Sie griff nach der langen Jacke und dem Hut der jungen Frau, um sie ebenfalls ins Treppenhaus zu bringen. "Bitte setz dich an den Tisch."
Diana nahm am Tisch Platz. Schon wenige Minuten später stellte Mary Jones einen Teller mit einem Gemüseeintopf und Hammelfleisch vor sie hin. "Laß es dir schmecken", sagte sie und schenkte aus einer bauchigen Kanne Tee in zwei Keramikbecher.
Sie setzte sich Diana gegenüber. "Abigail hat mir geschrieben, daß du nach deiner Schwester suchst und annimmst, sie könnte auf Baxter Hall sein. Ich bin jedes Jahr für mehrere Wochen auf dem Anwesen der Baxters. Von einer Susan habe ich dort noch nichts gehört."
Diana legte den Löffel beiseite. "Ich weiß nur, daß meine Schwester Andrew Baxter aufsuchen wollte. Sie erwartete ein Kind von ihm und erhoffte sich Hilfe."
"Iß solange die Suppe heiß ist, Diana", ermahnte sie Mary Jones. "Andrew Baxter hat sich vor vier Jahren nach Indien versetzen lassen." Sie senkte die Stimme. "Seine Ehe ist nicht besonders glücklich gewesen, was mich nicht wundert, denn sein Vater hatte ihn gezwungen, die älteste Tochter seines besten Freundes zu heiraten. Und auch Ruth Baxter hatte nicht besonders viel für ihren Gatten übrig. Es heißt, es hätte vor ihrer Ehe einen jungen Lehrer gegeben..." Sie hob die Schultern. "Gerüchte sind schnell in die Welt gesetzt."
"Warum sprechen Sie von Ruth Baxter in der Vergangenheit?" erkundigte sich Diana. Sie nahm einen Schluck Tee.
"Mrs. Baxter ist vor dreieinhalb Jahren gestorben. Ihr kleiner Sohn war da erst wenige Wochen alt. Schon kurz nach der Abreise ihres Gatten hatte sie sich völlig zurückgezogen. Außer ihrer Schwester Maud, die mit Andrews Bruder verheiratet ist, und ihrer Zofe hatte sie kaum einen Menschen zu sich gelassen. Als ich nach Baxter Hall kam, um Wäsche und Kleidung für das Kind anzufertigen, habe ich Mrs. Baxter nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen."
"Sie muß sehr einsam gewesen sein."
"Das ist anzunehmen."
Mary Jones erhob sich, um sich eine zweite Tasse Tee einzuschenken. "Andrew Baxter wird aus Indien zurück erwartet. Es heißt, er hätte bei einem Kampf mit Aufständischen sein rechtes Bein verloren."
Diana hob erschrocken den Kopf. "Wie entsetzlich!" stieß sie hervor.
Die Katze sprang von der Bank und strich miauend am Herd entlang. Mary Jones stellte ein Schälchen mit warmer Milch vor sie auf den Boden. "Andrew Baxter wird sich vermutlich nach seiner Rückkehr völlig der Malerei widmen. Die Malerei ist seit jeher seine große Leidenschaft. Ich selbst habe noch nie ein Bild von ihm gesehen, doch im Park gibt es einen verschlossenen Pavillon, der voll von seinen Bildern sein soll."
"Könnte es sein, daß meine Schwester Mr. Baxter nach Indien gefolgt ist?"
Mary Jones kehrte zum Tisch zurück. "So eine Schiffspassage kostet eine Menge Geld. Außerdem dauert die Überfahrt viele Wochen und du sagst, sie hätte ein Kind erwartet." Sie schüttelte den Kopf. "Nein, das kann ich mir nicht vorstellen." Ihre Hand berührte Dianas Arm. "Maud Baxter, Ruths Schwester, wird in wenigen Wochen niederkommen. Ich werde in zehn Tagen auf Baxter Hall erwartet, um für die Ausstattung des Kindes zu sorgen und auch neue Kleidung für Master David anzufertigen. Du wirst dir also schon in wenigen Tagen selbst ein Bild von den Baxters machen können."
Diana trank den Rest ihres Tees. Vor Müdigkeit konnte sie die Augen kaum noch aufhalten.
"Es ist spät. Höchste Zeit, ins Bett zu gehen", meinte Mary Jones. "Ich werde dich erst einmal nach oben bringen."
Diana folgte ihrer Gastgeberin die schmale Treppe hinauf. Unter jedem ihrer Schritte knarrten die Stufen. Mary Jones öffnete vor ihr die Tür zu einem rechteckigen Zimmer, in dem außer einem Bett, einem Schrank und einem Waschtisch nur noch ein
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