Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
Stuhl stand. Im Schein der Petroleumlampe bemerkte sie die gehäkelten Gardinen, die vor dem einzigen Fenster hingen.
Mary Jones stellte Dianas Reisetasche neben den Schrank und zündete die Petroleumlampe auf dem Waschtisch an. "Frisches Wasser ist im Krug", sagte sie. "Ich schlafe im Zimmer nebenan." Sie schenkte ihr ein ermutigendes Lächeln. "Schlaf dich erst einmal richtig aus, Diana. Ich bin froh, daß du nach Sandwich gekommen bist. Glaub mir, deine Hilfe kann ich gut gebrauchen."
"Danke für alles, Mrs. Jones", sagte Diana.
"Schlaf gut." Mary Jones ging hinaus. Die junge Frau hörte, wie sie gleich darauf ihr eigenes Zimmer betrat. Die knarrenden Dielen ließen Heimlichkeit nicht zu.
Diana war zu müde, um noch den Koffer auszupacken. Rasch zog sie sich aus, legte Oberkleidung und Wäsche über den Stuhl und schlüpfte ins Bett. Als sie die Augen schloß, fielen ihr all die Fragen ein, die sie Mary Jones noch nicht gestellt hatte. Morgen war auch noch ein Tag. Mit den Gedanken an ihre Schwester schlief sie ein.
* * *
Diana Coleman hatte noch nicht richtig Zeit gehabt, sich in Sandwich einzuleben, als sie und Mary Jones auch bereits vom Kutscher der Baxters abgeholt wurden, um die nächsten Wochen auf Baxter Hall zu verbringen. Bonnie, die Katze, wurde in die Obhut von Mrs. Hill gegeben, die den zweiten Stock des Hauses bewohnte.
Sie verließen Sandwich durch das Tudor-Tor, fuhren ein Stück am Meer entlang und bogen nach drei Kilometern nach Baxter Hall ab. Nach einigen vergeblichen Versuchen, mit dem Kutscher ins Gespräch zu kommen, gaben es die beiden Frauen auf. Mary Jones erzählte Diana, daß das Land, durch das sie fuhren, bereits zum Besitz der Baxters gehörte. Die Leute, die auf den Feldern arbeiteten, starrten neugierig dem Wagen nach.
Sie passierten ein großes Tor und befanden sich nun in der Auffahrt des Hauses. Rechts der Straße weideten Schafe. Zwei barfüßige Kinder und ein großer zotteliger Hund hüteten sie. Und dann tauchte vor ihnen Baxter Hall auf, ein großer Sandsteinbau mit Türmchen, Balustraden und einer imposanten Treppe, die auf einer Veranda mündete.
Sie hielten jedoch nicht vor der Treppe. Der Kutscher lenkte den Wagen zum Seiteneingang des Gebäudes. Mit einem unfreundlichen: "So, da sind wir", stieg er vom Bock, stellte das Gepäck vor die Tür und wartete darauf, daß Mary Jones und Diana ausstiegen. Kaum standen sie vor der Tür, ließ er sie auch schon allein, um die Kutsche in die Remise zu bringen.
Mary Jones betätigte den Türklopfer. Nur wenige Minuten später wurde ihnen die Tür von einer älteren, sehr würdevollen Frau geöffnet, die ein steifes, schwarzes Kleid mit weißem Spitzenkragen und Manschetten trug. Eine weiße Haube bedeckte den größten Teil ihrer grauen Haare.
"Welch eine Freude Sie zu sehen, Mrs. Jones", sagte sie und nickte der Schneiderin hoheitsvoll zu. "Es steht alles für Sie bereit. In den letzten Wochen sind bei uns die Tuchhändler ein- und ausgegangen."
"Danke für das Willkommen, Mrs. Sibley", erwiderte Mary Jones. Sie stellte Diana der Wirtschafterin vor. "Diana ist die Nichte einer Londoner Freundin. Ich habe mich von ihrer Näharbeit in den letzten Tagen überzeugen können. Noch nie hatte ich eine geschicktere Helferin."
"Das freut mich." Mrs. Sibley nickte auch Diana zu, dann wies sie einen jungen Burschen an, Mrs. Jones und Diana bei ihrem Gepäck behilflich zu sein.
Sie stiegen die Hintertreppe bis zum Dachgeschoß des Hauses hinauf. Hier lagen die Schlafräume der Dienstboten. Mary Jones und Diana erhielten eine Kammer, deren Fenster auf den hinteren Teil des Parks hinausging. Der Raum war nur mit dem Nötigsten möbliert. An der Wand neben der Tür hingen Haken, an denen sie ihre Kleider aufhängen konnten.
"Wir werden uns hier nur zum Schlafen aufhalten, Diana", sagte Mary Jones tröstend. "Das Nähzimmer ist geräumiger und besser eingerichtet und was die Mahlzeiten auf Baxter Hall betrifft, so kann man darüber wirklich nicht klagen."
"Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wie die meisten Dienstboten leben", gestand Diana, "und in den Augen der Baxters sind wir wohl kaum mehr als Dienstboten."
"Das ist anzunehmen", pflichtete ihr Mary Jones bei. "Am besten, wir gehen gleich hinunter ins Nähzimmer. Ich möchte sehen, was für Stoffe eingekauft worden sind."
Das Nähzimmer lag einen Stock tiefer in der Nähe der Kinderzimmer, die momentan nur von dem kleinen David und seinem Kindermädchen bewohnt
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