Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
aus dem Herzen spricht", meinte Mary Jones und widmete sich ihrer Arbeit.
Sie blieben nicht lange allein. Schon eine halbe Stunde später kam Mrs. Sibley nach oben. Sie wirkte sehr aufgeregt. "Diana, bring deine Kleidung und deine Haare in Ordnung", befahl sie ziemlich atemlos. "Sir Richard erwartet dich in zehn Minuten in seinem Arbeitszimmer."
Diana sah sie erschrocken an. "Was ist denn passiert, Mrs. Sibley?" fragte sie und stand auf. Sie legte Davids Hosen, die sie säumte, auf den Tisch.
"Am besten, du stellst keine Fragen, sondern tust, was man dir befohlen hat", meinte Mrs. Sibley. "Ich warte hier auf dich."
Die junge Frau eilte in ihre Kammer hinauf. Noch auf der Treppe fiel ihr ein, daß sie sich keine Sorgen machen mußte. Vermutlich hatte Andrew Baxter bereits mit seinem Vater gesprochen. Es gefiel ihr, daß er keine Zeit versäumt hatte. In aller Eile machte sie sich ein wenig zurecht und band sich sogar eine frische Schürze vor.
Schweigend stieg die Wirtschafterin vor Diana die Hintertreppe hinunter. Unten in der Halle gab sie ihr noch einige Anweisungen. "Und vergiß nicht, die Augen gesenkt zu halten, wenn Sir Richard mit dir spricht. Achte auf deine Worte, gib keine Widerrede."
Diana nickte.
Mrs. Sibley klopfte an die Tür des Arbeitszimmers, öffnete sie und trat ein. "Diana ist hier, Sir Richard", sagte sie. Überrascht stellte sie fest, daß sich nicht nur der Hausherr, sondern auch seine Söhne im Arbeitszimmer aufhielten.
"Herein mit ihr", verlangte Sir Richard.
Diana trat ein und knickste. Sie war noch nie zuvor im Arbeitszimmer Sir Richards gewesen. Der Raum war bis zur Decke mit Teakholz getäfelt. An den Fenstern mit ihren bleigefaßten Butzenscheiben hingen schwere Samtvorhänge. Vor dem Kamin standen schwarze Ledersessel um einen Kartenspieltisch. Ein Bücherschrank, ein schwerer Schreibtisch und mehrere mit Leder bezogene hochlehnige Stühle vervollständigten die Einrichtung. Ein dicker indischer Teppich bedeckte den Steinboden.
"Sie können gehen, Mrs. Sibley", sagte Sir Richard.
Die Wirtschafterin warf Diana einen letzten, warnenden Blick zu, bevor sie das Arbeitszimmer verließ.
Diana fühlte sich unter den Blicken von Sir Richard und seinem Sohn Robert alles andere als wohl. Zum Glück war auch Andrew anwesend. Auch wenn er sie scheinbar nicht beachtete, seine Nähe gab ihr Sicherheit.
"Master Andrew hat Sie also als Kindermädchen für meinen ältesten Enkel eingestellt, Diana", ergriff Sir Richard das Wort. "Sind Sie sich der Verantwortung bewußt, die mit diesem Posten zusammenhängt?"
"Ja, das bin ich mir, Sir", antwortete Diana. "Sie können versichert sein, daß ich Master David mit meinem Leben verteidigen würde." Obwohl sie sich bemühte, nicht den Blick zu heben, bemerkte sie, wie um Andrews Lippen ein belustigtes Lächeln huschte. Es machte sie froh.
"Fragt sich, ob du dieses Versprechen einhalten würdest, wenn es, was Gott verhüten mag, einmal darauf ankommt", meinte Robert Baxter. "Mein Neffe ist ein sehr lebhaftes Kind. Selbst Mrs. Hadfield hat oft große Mühe mit ihm."
"Ich vertraue darauf, daß Diana die richtigen Mittel und Wege finden wird, Davids Starrsinn zu brechen, wenn es nötig sein sollte", warf Andrew Baxter ein. "Außerdem hängt David an Diana."
"Haben Sie Erfahrung mit Kindern, Diana?" erkundigte sich Sir Richard.
"Ja, ich habe mich oft um meine jüngeren Brüder und meine Cousins und Cousinen gekümmert", sagte sie und bemühte sich, nicht zu weinen, als sie an ihre Brüder dachte. "Ich kann gut mit Kindern umgehen, Sir."
"Sie kommen aus London?"
"Ja, Sir."
"Ich nehme nicht an, daß Sie irgendwelche Referenzen haben."
"Ich habe bei meinem Vater und meinem Onkel nähen gelernt. Mein Onkel besitzt eine Schneiderei in der Nähe des Londoner Blumen- und Gemüsemarktes."
Sir Richard trat zu ihr, ging um sie herum. "Wenn ich Sie als Nanny für Master David einstelle, erwarte ich, daß Sie sich dem übrigen Personal gegenüber zurückhalten. Als Kindermädchen meines ältesten Enkels stehen Sie direkt unter Mrs. Sibley." Er blieb stehen. "Und selbstverständlich werden Sie in Zukunft auch nicht mehr mit Ihrem Vornamen angesprochen. Wie heißen Sie, Diana?"
"Coleman", antwortete sie.
Er zog die Augenbrauen hoch. "Coleman", wiederholte er. "Nun, ein häufiger Name, will ich meinen. Also, Miss Coleman, seien Sie sich Ihrer neuen Stellung bewußt. Keine Gemeinsamkeiten mit dem übrigen Hauspersonal. Ab morgen werden Sie Ihre Mahlzeiten
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