Flucht ins Ungewisse
packte und mich dann leicht von ihm hinterher ziehen ließ.
Ich fragte nicht, was er vorhatte oder wohin wir gingen. Ich war müde und Schule war ohnehin das Letzte, auf das ich heute Bock hatte.
Ganz schwach spürte ich irgendwo neben mir eine Art Anziehung, die man nicht in Worte fassen konnte. Es war etwas Unvermeidbares, etwas, das mich dazu brachte, zur Seite zu sehen.
Matt!
Er schlenderte gemächlich Richtung Schulgebäude. Andere hetzten an ihm vorbei, da sie bereits zu spät dran waren, aber das schien Matt nur wenig zu interessieren. Ich sah ihn nur kurz an, doch im selben Moment wandte auch er seinen Kopf in meine Richtung. Cass merkte von diesem kurzen Blickwechsel nichts und zog mich einfach weiter.
Ich sah wieder nach vorne, um nicht über irgendwelche Steine zu stolpern, und widerstand dem Drang, zurückzulaufen. Das ist nicht echt , sagte ich mir. Das hat mit diesem Blutding zu tun!
Aber warum trug Matt bei diesem sonnenlosen Wetter eine Sonnenbrille? Ach, damit wollte ich mich nun wirklich nicht beschäftigen.
Cass und ich ließen das Schulgelände hinter uns, durchquerten einen großen, gepflasterten Platz, an dessen Ende ein Kirchturm in den Himmel ragte. Manch andere Schüler, die gerade auf dem Weg zur Schule waren, sahen uns komisch an. Doch Cass hielt mich weiterhin an der Hand, so als wollte er mich nicht verlieren.
Erst als wir in einem Park ankamen und sich ein kleines Tal vor uns auftat, in dessen Mitte sich ein breites Feld voll mit Skateboardern befand, ließ er mich los. Ich hörte die Rollen auf dem glatten Asphalt aufkommen, beobachtete, wie manche der Bretter sich bogen, wenn jemand einen Stunt erfolgreich zu Ende brachte. Die meisten von ihnen trugen ähnliche schlabberige Kleidung wie Cass. Selbst die Art der Frisur ähnelte sich gewaltig.
Cass setzte sich auf den pingelig fein geschnittenen Rasen der Anhöhe und deutete mir dasselbe zu tun. Der Boden war zwar eisigkalt, aber das war mir im Moment ziemlich egal.
„Hier!“
Ich schreckte fast zusammen, als Cass mir einen Schokoriegel vor die Nase hielt. Dankend nahm ich den Riegel und begann langsam an ihm zu knabbern. Irgendwie war ich froh, dass er mich nicht mit Fragen bombardierte, sondern nur still neben mir saß und den Skateboardern zusah, wie sie sich beinah überschlugen. Zuerst sah ich ihnen nur gedankenverloren zu, doch nach dem einen oder anderen waghalsigen Sprung war ich gebannt von ihrem Mut und ihrer Körperbeherrschung. An einer der Rampen war ein Graffiti-Tag angebracht, was mich sofort an Simon denken ließ. An ihn und seine großartigen Bilder, die er Nacht für Nacht irgendwo raufgeschmiert hatte, auch wenn andere sich nicht so für die Bilder begeistern konnten.
Auch nachdem ich den Schokoriegel schon längst verputzt hatte, konnte ich meine Augen immer noch nicht von dem wirbelnden Feld wenden. Meine Niedergeschlagenheit sowie die damit verbundenen Gedanken waren wie weggeblasen.
Auf einmal drehte sich jemand von der halsbrecherischen Gruppe um und musterte mich. Er war zwar weit weg, aber der Junge kam mir bekannt vor. Woher? fragte ich mich.
Es dauerte nicht lange, da kam er, sein Board lässig neben sich baumelnd, zu uns auf die Anhöhe.
„Na toll …“, murmelte Cass neben mir. Ich hatte schon fast vergessen, dass er da war.
„Hey, Cass“, begrüßte ihn der braunhaarige Typ und ich erkannte ihn. Es war dieser Greg, den ich schon einmal an unserer Schule gesehen hatte. „Bist du wieder bei klarem Verstand und kommst zurück?“
Cass lächelte, doch es wirkte aufgesetzt. „Nope, wir sitzen hier nur so rum und schauen, wie ihr euch macht.“
„Du kommst so oft hierher, siehst uns aber immer nur zu“, beklagte Greg sich. Sein Board klopfte leicht gegen seinen Knöchel.
„Dabei wird’s auch bleiben“, meinte Cass angespannt.
„Ohne dich verlieren wir die meisten Battles, unser Ruf is’ bald schlechter als der vom Schachclub.“
„Greg“, seufzte Cass und schnippte gegen die knallig roten Kopfhörer um seinen Hals. „Wie oft denn noch? Vergiss es endlich!“
„Aber …“
Und dann sah ich diesen eiskalten Blick in Cass’ Augen, der mir einen Schauer über den Rücken jagte und Greg augenblicklich verstummen ließ. „Lass es sein, ja?“
Diesen Blick hab ich schon mal gesehen, damals als ich bei ihm war und seine Schwester ins Zimmer gekommen ist! Da war ich noch nicht in diesem ganzen Schlamassel gefangen!
Greg schluckte, sichtlich angespannt. Nickte dann aber und
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