Flucht ins Ungewisse
Moment aus. Ich kämpfte gegen den Drang an, auf sie zuzugehen, sie zu berühren.
Ich durfte ihr nicht zu nahe kommen. Auf keinen Fall! Ich wusste nur zu gut, wie schrecklich schief das gehen konnte.
Ich öffnete meine Fäuste, ballte sie nochmals, um neue Wunden in meine Handflächen zu schlagen, die mich hoffentlich bei Verstand halten würden.
„Ich bin so gesehen auf dich angewiesen“, sagte sie und kam weiter auf mich zu. Wieder wich ich zurück. „Du bist mein Retter. Mein … Held!“, hauchte sie.
Die kleinen Härchen in meinem Nacken stellten sich auf und ein Kribbeln fuhr durch meinen Körper. Hätte ich ein Messer, würd ich es ihr in die Rippen stoßen und abhauen! Oder?
Noch ein Schritt von ihr und noch einer. Immer wieder wich ich weiter zurück, bis ich plötzlich mit dem Rücken an die Wand stieß.
Was? Ich riss überrascht meinen Kopf herum, starrte an der für mich hochhaushohen Mauer hoch. Wie konnte sie mich in die Enge treiben, ohne dass ich es bemerkte? fragte ich mich, nach einem Ausweg suchend. Aber es gab keinen. Ich konnte nirgendwohin. Nur nach vorne, an Amanda vorbei, was nicht wirklich eine Option war. Verdammt!
Sie war nur noch etwa einen knappen Meter von mir entfernt. Mein Körper rebellierte gegen meine Gedanken. Mein Herz begann schneller zu schlagen.
Ich musste von hier verschwinden. Wenn sie mich nur streifen würde, könnte es zu spät sein.
„Rühr mich nicht an!“, keuchte ich wie ausrangiert. Doch Amanda machte das Gegenteil davon, trat noch etwas näher, bis wir nur mehr von einer dünnen Luftschicht getrennt wurden. Doch es war, als würde dieser Abstand bereits nicht mehr existieren. Die raue Wand krallte sich wie eine Raubkatze in meinen Rücken.
Amanda fixierte mich mit ihren eisblauen Augen, hob ihre Hand und strich über meine Wange. Ich wollte ihre Hand abfangen, doch ich war zu langsam. Ich hielt inne. Bei dem Gefühl, das bei ihrer Berührung von mir Besitz ergriff, begann mein Atem zu zittern. Vor Verlangen, vor blanker Begierde. Es war unerträglich.
Der Schmerz an meinen Handflächen wurde schlimmer und trat gleichzeitig in weite Ferne.
Ich konnte nicht fliehen. Wollte es nicht mehr.
„Ich hab dich vermisst“, flüsterte sie, den Blick gesenkt.
Schließlich, in einer schnellen Bewegung, küsste sie mich hart auf den Mund, womit das letzte bisschen meiner Selbstbeherrschung von mir fiel.
Ich ergab mich dem Gefühl. Ertrank förmlich darin.
Als ich meine Lippen öffnete, verschwand alles um mich herum. Es gab nur noch sie. Amanda.
Ich schmeckte sie wie die schwarze Seite des Schattens. Roch sie wie die Versuchung des Todes. Fühlte sie wie die Erlösung des Lebens.
Es fühlte sich an, als wäre ich wieder ich. Als würde ich wieder leben, vollständig sein.
Es ist falsch!
Ihre Hand wanderte von meiner Wange hinab, bis sich letztendlich ihre Finger in meine Schulter vergruben. Dort, wo sie mich berührte oder nur streifte, war es, als zeichnete sie ihre Empfindungen auf meine Haut. Prägte sich dort für immer ein. Brandmarkte mich.
Sie zerrte ungeduldig an meiner Jacke. Nur wie in Trance merkte ich, wie ich sie auszog und mich von dem beklemmenden Gefühl befreite, das uns voneinander trennte. Wohin war ihr Mantel verschwunden?
Hör auf!
Als wöge sie nichts, hob ich sie an den Hüften hoch, worauf sie ihre Beine um mein Becken schlang. Ich lehnte mich zurück an die kalte Mauer, die meinen brennenden Körper aufschreien ließ. Amanda gab ein leises Keuchen von sich, als ich mich mit ihr umdrehte und sie gegen die Mauer drückte, sie immer weiterküsste.
Beende es!
Ihre Finger verloren sich in meinen Haaren. Mit aller Kraft presste sie ihren glühenden Körper an meinen. Unkontrolliert wanderte meine Hand unter ihr dünnes Oberteil, wanderte ihren Bauch hoch.
Verdamm…
Ein befremdendes Gefühl erstach meine Gedanken. Entzweite die Anziehung. Mein Atem stockte und mein Kopf klärte sich.
Augenblicklich löste ich mich von Amanda. Ich ließ sie los, worauf sie fast zu Boden fiel. Nach zwei, drei Schritten Abstand realisierte ich meinen aufgewühlten Herzschlag. Aber nicht nur meines, auch Amandas Herz schien jeden Augenblick aus ihrem Brustkorb zu springen. Es wummerte laut in meinen Ohren.
Wir atmeten beide wie zwei Marathonläufer, die nur knapp den ersten Platz verpasst hatten. Meine Lippen brannten wie Höllenfeuer. Ich kniff die Augen fest zusammen, versuchte mich auf etwas zu konzentrieren, scheiterte jedoch kläglich daran.
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