Flucht ins Ungewisse
Es war, als würde mich ein unsichtbares Band zu ihr ziehen.
Irgendetwas Undefinierbares umgarnte meine Sinne, meinen Verstand und zwang mich vorwärtszugehen.
Es war so ein Gefühl. Ein starker Drang, dass ich in dieser Gasse mit den Schatten verschmelzen sollte.
Etwas stimmte nicht, das war mir klar. Doch selbst eine leuchtende Reklame mit der Aufschrift „Du machst einen Fehler“ hätte mich nicht aufgehalten.
Meine zögernden Schritte hallten zwischen den hohen Wänden wider. Ich ging den leeren Weg entlang. Hier waren keine Fenster oder Türen. Es gab nur diese meterhohen Wände und darüber den düsteren Himmel, der mit jedem meiner Atemzüge dunkler zu werden schien.
Ich bekam Bedenken; war mir nicht mehr sicher, was genau ich hier eigentlich tat. Ich ging nur die Gasse entlang, die Schatten um mich verschluckten alles und jeden. Selbst mit meinen nachtsichtigen Augen konnte ich nur wenig erkennen.
Die Warnrufe in meinem Kopf schwollen zu einem regelrechten Chor an, doch das Gefühl, das Bedürfnis, weiterzugehen, war stärker. Es war fast wie bei …
„Hallo Matthew!“
Ich erstarrte. Alles in mir spannte sich an. Diese falsche, zuckersüße Stimme, die aus den Schatten sprach, und das damit verbundene Gefühl …
Scheiße, das ist gar nicht gut!
Ich wusste, dass ich am Stand kehrtmachen und so schnell laufen sollte, wie ich konnte. Aber ich tat es nicht. Ein Teil von mir wollte es einfach nicht. Ich Vollidiot!
„Endlich treffe ich dich wieder einmal persönlich!“ Der Schatten vor mir verfestigte sich zu einer schmalen Gestalt. „Unser letztes Beisammensein endete ja nicht gerade wohltuend für mich.“
Ihr leicht exotisch-süßlicher Duft stieg mir in die Nase und rief längst verschüttete Erinnerungen wach. Durch das dämmrige Tageslicht sah ich ihre schulterlangen blonden Haare, deren Spitzen in einem rosa Schal verschwanden. Wie früher trug sie einen beinah knöchellangen cremefarbenen Mantel, der ihre schlanke Figur noch zusätzlich betonte. Ihr Blick strahlte Wehmut und diese ganz eigene Art von Einsamkeit aus. Sie hatte sich kaum verändert.
Amanda!
„Ach.“ Ich versuchte mich unbeteiligt und gleichgültig zu geben. Wahrscheinlich vergebens. Mach nichts Unüberlegtes! „Was verschafft mir die Ehre, dich dreckiges Miststück wiederzusehen?“ Ich ballte eine Faust, krallte die Fingernägel in meine Handfläche, bis ich etwas Warmes über meine Finger laufen spürte. Ich durfte meine Selbstbeherrschung nicht verlieren. Ich durfte nicht nachgeben. Ich durfte nicht …
Amanda steckte ihre Hände in die Manteltaschen, wippte auf ihren Füßen vor und zurück, was sie kindlich und verspielt wirken ließ.
„Deine letzte … hmm, Lieferung war einfach wundervoll. So groß und kräftigend, etwas ganz Besonderes“, sagte sie im schwärmerischen Ton, zog dabei ihre Schultern schüchtern hoch. Was für eine falsche Schlange!
Ein ganz bestimmter Gedanke kämpfte mit den eindringlichen Gefühlen um die Oberhand.
Mit dem letzten bisschen Konzentration, das ich aufbringen konnte, zog ich den Gedankenfaden heraus. „Ist dir …“ Meine Stimme brach. Wie erbärmlich! „Die letzte Seele“, setzte ich erneut an, diesmal mit kräftigerer Stimme. „Ist dir dabei etwas seltsam vorgekommen?“
Für einen Augenblick sah sie mich konzentriert an. Ihre Art, die äußere Hülle, die sie beinah immer umgab, brach für eine Nanosekunde und das Mädchen, in das ich mich damals ernsthaft verliebt hatte, kam zum Vorschein. Aber nicht lange, dann zog sie ihre Schutzmauern wieder hoch und ihre ignorante Seite erstrahlte im vollen Glanz.
„Sie war außergewöhnlich sättigend diesmal. Dank dir fühle ich mich wie neugeboren. Und das tust du alles nur für mich!“
Für dich mach ich diesen ganzen Scheiß bestimmt nicht!
Wie so oft, wenn ich ihr ernste Fragen stellte, wich sie aus oder ignorierte es.
Amanda verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken, lehnte ihren Oberkörper etwas vor und lächelte ihr zuckersüßes Lächeln. „Da muss ich mich doch irgendwie revanchieren, mein Liebling.“
„Da hast du verdammt recht!“ Ich legte meinen Kopf schräg und deutete auf das Tattoo. An ihrem Hals hätte ich dasselbe Sonnensymbol sehen können, wenn sie den Schal weggegeben hätte. „Lös das Siegel!“
Sie schüttelte mit einem amüsierten Lächeln im Gesicht den Kopf. „Du weißt genau, dass ich das nicht kann.“ Sie trat näher, worauf ich einen Schritt zurückmachte. Mein Herz setzte einen
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