Flucht nach Colorado
wissen?"
„Ist er ein Freund von dir?" fragte Jordan.
„Ja, aber ich verbringe nicht die Nächte mit ihm."
„Das freut mich."
Sie blickte in Jordans dunkle Augen und sah, dass er offenbar überhaupt keine Angst hatte.
Trotz der immensen Gefahr hatte er sich völlig unter Kontrolle. Er nahm ihre Hand. „Du musst das nicht tun, Emily. Gib mir den Schlüssel, und ich gehe alleine."
„Ich kriege das schon hin."
„Aber du brauchst es nicht", sagte er. „Ich finde das Haus schon."
Sie war kein Feigling. Ihr Vater war als Held gestorben, und sein Blut floss durch ihre Adern. Wenn jetzt die Panik die Oberhand gewann, dann verdiente sie es nicht, seine Tochter zu sein. „Los jetzt. Ich gehe immer einen Häuserblock voraus. Du folgst mir."
Die einzigen Aktivitäten zu dieser Zeit konzentrierten sich auf die Kneipe am nördlichen Ende der Hauptstraße, zwei Blocks von Spences Haus entfernt. Und selbst dort war es eher ruhig.
Emily umrundete die Grundschule von Cascadia und vermied es, über den gut beleuchteten Schulhof und den Basketballsplatz zu gehen. Zwar kannte sie jeden Zentimeter, doch im Augenblick schienen die Straßen sehr schmal. Die Umrisse der Häuser waren völlig verzerrt, als ob sie durch das falsche Ende eines Teleskops blickte.
Hinter der Tür des Lebensmittelgeschäfts sah sie Licht. Um sieben Uhr wurde hier geschlossen. War noch jemand da? Emily rannte auf die andere Straßenseite und duckte sich hinter einem geparkten Auto. Sie starrte auf das einfache Gebäude mit dem Flachdach. Die Konturen begannen zu verschwimmen. Ihre Sicht wurde unscharf.
Sie presste die Augen zusammen und wehrte sich erneut gegen ihre Angst. Dann zwang sie sich, über die Straße auf Spences Haus zu blicken. Hinter einem Fenster seiner Wohnung konnte sie das blau flackernde Licht des Fernsehers sehen. Sie mussten leise sein. Sie durften ihn auf keinen Fall stören.
Sehr vorsichtig überquerte sie die Straße. Sie spürte kaum, wie ihre Beine sich bewegten.
Sie war fast da. Sie schien zu schweben wie ein Gespenst, körperlos, ohne feste Form.
Sie zog den Schlüssel aus der Tasche und umschloss ihn mit der Faust. So wie ihre Hand zitterte, würde er klimpern. Wie sollte sie es nur schaffen, ihn ins Schloss zu stecken?
Dann stand Jordan neben ihr. Geräuschlos nahm er ihr den Schlüssel ab und öffnete die Tür.
„Kein Licht", flüsterte er.
Von draußen drang schummrige Straßenbeleuchtung durch die beiden hohen Fenster. Die Umrisse von Kitteln und medizinischen Geräten erinnerten sie an eine ganze Armee von Polizisten, die sie beobachtete und mit angelegtem Gewehr abwartete.
Jordan schlich zu einem Tisch. Emily brachte kein Wort mehr heraus.
Sie hörte ein Geräusch. Eine Tür öffnete sich. Die Deckenbeleuchtung wurde angeknipst.
Emily erstarrte. Plötzlich meinte sie, große schwarze Bäume zu sehen. Der Himmel wurde von einem merkwürdigen Feuerwerk erhellt. Sternschnuppen. Patronenhülsen.
Feuer explodierte in symmetrischen Reihen über einem flachen Reisfeld. Die Schmerzensschreie wurden immer schriller. Endloses Brüllen zerriss ihr Trommelfell, die grellen, orangefarbenen Flammen fraßen sich durch den Wald.
Napalmbomben explodierten, ein Mal, zwei Mal, geschmolzenes Metall regnete auf sie herab. Ein brennender Mann stolperte auf sie zu. Seine Haut war verkohlt. Er stürzte.
Sie sank auf den sandigen Boden.
7. KAPITEL
Jordan starrte auf einen matt glänzenden Gewehrlauf. Ein Mann in Jeans und Sweatshirt zielte direkt auf seine Brust. Die Jagd war vorbei. Er hatte versagt, seine Freiheit verloren. Und jetzt? Würde er nun auch noch sein Leben verlieren? Und was war mit Emily?
Er blickte zu ihr hinüber. Sie stand völlig bewegungslos und starrte in die Ferne.
Irgendetwas stimmte nicht! War sie verletzt? Sie hatte den Mund wie zu einem stummen Schrei aufgerissen. Dann wurde ihr Körper schlaff, und sie fiel zu Boden.
Jordan vergaß alles um sich herum, rannte zu ihr und fiel auf die Knie. Er drehte sie auf den Rücken und ergriff ihre Hand. Sie war eiskalt. Furchtbare Angst schnürte ihm die Kehle zu. Er musste daran denken, dass er Lynette vor kurzem in fast derselben Position in den Armen gehalten hatte. „Emily, wach auf. Verdammt, du musst aufwachen."
Er spürte eine Hand auf seiner Schulter. Eine feste Stimme befahl ihm: „Gehen Sie zur Seite. Ich bin Arzt."
Emily öffnete die Augen. Sie atmete schwerfällig und in Stößen. Auf einmal warf sie die Arme um Jordan, klammerte sich
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