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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Heide. Aber mit jedem Sekt mehr machte er sich weniger Sorgen. Von dem lauwarmen Zeug hatte er reichlich einen im Tee. Und dann noch das Gras. Harry fühlte sich beschwingt. Die Noldes im Schrank der »Nordseeperle« belasteten ihn auf einmal nicht mehr.
    Der Schleimer Kieso wurde ihm nicht sympathischer, aber er fühlte sich ihm überlegen. Erstmals. Denn Reinhard Kieseritzky hatte ihm damals auch noch seine Freundin Maja ausgespannt, mit der er heute auf Sylt zusammenlebte. Maja, die schöne Architekturstudentin mit den widerspenstigen dunklen Haaren und den unglaublich strahlenden Augen. Harry hatte sie auf einer HBF K-Party kennengelernt. Zu mehreren hatten sie an der Bar gestanden, und sein Blick war immer wieder an ihr hängengeblieben, sodass er dem Gespräch über die Marotten ihres Malereiprofessors Herburger am Ende gar nicht mehr gefolgt war. »Ich hab sofort gesehen, dass ihr zusammenkommt«, hatte ihre portugiesische Freundin gesagt.
    Am nächsten Morgen waren sie zusammen frühstücken gegangen in einem Café im Univiertel und dann um die herbstliche Alster gelaufen. Danach waren sie für einen Winter, in dem die Alster wochenlang zugefroren war, ein Paar gewesen. Bis zu dieser durchsoffenen Nacht in der Schanzenstraße. Vielleicht sah Kieseritzky besser aus als Harry, ein weicher Typ, mit langen Wimpern und immer etwas fettigen Haaren, |89| die ihm an der Stirn klebten. Aber das war es gar nicht. Vor allem hatten ihr seine bekleckerten Küchenspülen und die an die Wand genagelten Käse imponiert.
    »Alter, nimm ’s nicht so tragisch«, hatte Kieso gesagt. Nach einer wilden Feier in einer WG in der Schanze war er morgens aus dem Zimmer, in dem er die Nacht mit Maja verbracht hatte, in die Küche gestolpert, bekleidet nur mit einer knapp sitzenden schwarzen Unterhose, und hatte versucht, Harry am Arm zu fassen.
    »Wenn du von ihr schon nicht die Finger lassen kannst, bleib mir wenigstens mit deinen widerlichen Griffeln vom Leibe!«, hatte Harry geschrien, so laut, dass aus dem Nebenraum jemand »Ruhe« rief. Fast hätte er Kieso eine reingehauen.
    Heute war ihm das egal. Wer war schon Kieso oder Boy Jensen, dieser lächerliche Typ im Fischerhemd mit seinen kunstgewerblichen Leuchtturmbildern. Gegen ihn, Harry Heide, der die Frechheit besaß, einfach vier Noldes aus dem Museum mitzunehmen, den mysteriösen Kunstdieb, der in ein paar Tagen vielleicht schon in einem Café in Greenwich Village saß.
    Die Blonde mit der wilden Mähne und der freien Schulter machte angedeutete Tanzbewegungen zu dem Shantypop. In ihrem getigerten Oberteil erinnerte sie Harry an Wilma Feuerstein. Harry bot ihr eine seiner Chesterfields an.
    »Was sind das denn für welche?«, sagte Wilma, die in Wirklichkeit Anke hieß.
    |90| »Chesterfield«, antwortete Harry. »Die hat Humphrey Bogart geraucht und auch James Dean.«
    »Echt? Stark.« Sie ließ sich von ihm Feuer geben. Und blies ihm provozierend den Rauch des ersten Zuges ins Gesicht.
    Die Zigarette in der abgespreizten Hand, summte Wilma die Melodie mit. Dabei wiegte sie sich mit den Schultern, dass ihr der Träger herunterglitt und damit das ganze Leopardenshirt gefährlich ins Rutschen geriet. Und sie ließ sich reichlich Zeit, den Träger auf die Schulter zurückzuziehen. Die erotische Wirkung auf Harry allerdings hielt sich angesichts des Panflötensounds in Grenzen. Kieseritzky, der mit der braungebrannten Ferienhäuslerin und einer hennaroten Volkshochschülerin zusammenstand, guckte zu Harry herüber. Er zog grinsend die Augenbrauen hoch und schob sich die Schiffermütze in den Nacken. Lachhaft, diese Sailormasche, dachte Harry.
    »Du bist auch Maler? Oder?«, sagte Wilma. »Was malst du denn so?«
    »Na ja. Also keine Leuchttürme.« Harry grinste und nahm ebenfalls einen Zug. Er prostete ihr mit dem halbvollen Glas zu.
    Was war los mit ihm? Harry war wirklich erstaunlich gut drauf. Der lauwarme »Söhnlein Brillant« hatte ihn in Fahrt gebracht.
    Anke arbeitete als Bedienung in der »Blauen Maus«, die berühmt ist für ihre unglaubliche Auswahl an Whiskysorten. Sie hatte heute Tresendienst, und so rauschte sie irgendwann in ihrem roten rostigen R4 ab.
    |91| »Guck doch mal vorbei«, verabschiedete sie sich von Harry. »Ich spendier dir auch ’n Drink.«
    Dabei strich sie sich die blonde Lockenpracht über den Kragen der Lederjacke, die sie jetzt über ihrem Steinzeitshirt trug, und fasste ihm mit ihren perlmuttern lackierten Fingernägeln kurz an den

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