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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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von ›Über sieben Brücken musst du gehen‹. Danach war es für einen Moment ganz still im »Klabautermann«. Jetzt fixierte der Fährmann Harry – mit glasigem, aber wissendem Blick. Oder bildete er sich das alles nur ein? Hatte er wirklich den Nolde auf der Fähre erkannt, als das Gastgeberverzeichnis von dem Bild kurz heruntergeweht war? Bestimmt hatte er in den Zeitungen über den Kunstraub gelesen und sich dann seinen Reim darauf gemacht. Oder ging das Geschehen an diesem aufgedunsenen Typ vielleicht auch einfach vorbei? Der W.D.R.-Mann widmete sich unüberhörbar wieder seinem Pils. Er gehörte zu den geräuschvollen Trinkern.
    »Das ist ein richtiger Arsch«, sagte Kieso. »Fast hätten die mal mit ihrer Scheißfähre vor Wittdün meine ›Elsa‹ gerammt. Ich hätte dabei glatt ersaufen können. Und anschließend hat mich diese Pfeife noch angepöbelt.«
    »Irgendwie ein unangenehmer Typ«, flüsterte Harry mehr zu sich selbst.
    »Von dem kann ich dir Geschichten erzählen«, sagte Kieseritzky. »Ein Freund von mir, ein schwuler Sylter Galerist, ist von dem mal böse vermöbelt worden. |95| Krankenhausreif. Ohne Grund. Nur, weil er ihm ein bisschen arrogant gekommen ist. Der Prolet sucht jede Schlägerei.«
    Das Sauerfleisch war wieder eiskalt, kälter als das Bier. Und irgendwie hatte Harry es besser in Erinnerung.
    »Na, schmeckt dat Sauerfleisch?«, fragte Strandkorb-Peter. »Ich kann das Zeug ja nich mehr sehen.«
    »Ja, ist in Ordnung«, sagte Harry und versuchte, vor den Blicken des W.D.R.-Mannes in Deckung zu gehen.
    »Peter mag dat Gelee nisch, wat Fred«, schaltete die Kölnerin sich ein. »Sieht aber jut aus. Juten Appetit.«
    Aus der Musikbox kam statt Peter Maffay jetzt ›Nights in White Satin‹. Die dicke Elke begann zu schunkeln und verdrehte die Augen.
    »Fred, machst mir noch ’ne Küstennebel.«
    Harry kämpfte mit dem Sauerfleisch und spülte mit Flensburger nach. Kieseritzky drückte in der Musikbox für mehrere Fünfmarkstücke ›Nights in White Satin‹, um eine Weile Ruhe vor Peter Maffay zu haben.
    »Super Nummer«, sagte Strandkorb-Peter und warf mit einem kurzen Zucken seinen blonden Nackenspoiler nach hinten.
    »Letters are written – Never meaning to send«, summte Harry vor dem Pissoir stehend. Er musste einen kleinen Schritt zur Seite machen, um ein leichtes Schwanken aufzufangen.
    Es stank penetrant nach Spülstein. Während er summend und pinkelnd auf die schmutzig gelben Kacheln starrte und den notdürftig von der Wand abgewaschenen Spruch zu entziffern versuchte, stellte sich jemand |96| an das benachbarte Pissbecken. Harry musste nicht zur Seite sehen. Er wusste sofort, wer neben ihm stand. Auch wenn er ihn nicht sah. Er hatte den unangenehmen Geruch gleich in der Nase und die hochrote aufgedunsene Visage mitsamt der schmutzig weißen W.D.R.-Mütze vor Augen. Der Fährmann zog gurgelnd den Schnodder hoch. Anschließend spuckte er nicht aus, sondern rülpste laut.
    »Pass auf, Meister«, begann er das Gespräch, und dabei gurgelte seine Stimme hinten in der Kehle.
    Harry fühlte seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Die Flucht nach Amrum war eine Schnapsidee gewesen. Jetzt saß er in der Falle.
    »Alles klar auf der A- A-Andrea Doria«, versuchte er es auf die witzige Art, was angesichts des Stotterns gründlich misslang. Er wollte an dem Schiffer vorbei zur Toilettentür.
    »Nee, nee, Meister, hiergeblieben«, wurde der Fährmann jetzt deutlicher, zog unverrichteter Dinge seinen Reißverschluss wieder nach oben und stellte sich ihm in den Weg. Er war fast einen Kopf kleiner als Harry, aber er wirkte umso breiter. Sein Gesicht war puterrot, der Blick glasig. Aber Harry glaubte darin ein bedrohliches Funkeln zu erkennen.
    »Wat, großer Malermeister.« Er grinste breit und schubste Harry ein kleines Stück in Richtung Pissoir. »Von wegen!«
    »Jetzt trinken wir erst mal noch ’n schönes kleines Bi-Bierchen.« Harry bemühte sich um eine größtmögliche Unschuldsmiene.
    »Da-da-dat können wir gern machen«, äffte der |97| W.D.R.-Schipper ihn nach und drückte ihm seinen wurstigen Zeigefinger auf die Brust. »Aber vorher haben wir noch wat zu beschnacken.«
    »Ich wüsste nicht, was wir zu beschnacken hätten«, sagte Harry. Wie sollte er nur wieder aus dieser Situation herauskommen?
    »Wir können dat alles unter uns regeln. Ich hab kein Interesse, die Bullen da reinzuziehen. Aber dat Bild soll ja wohl über Hunderttausend wert sein. Ham sie

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