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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Oberarm.
     
    »Ich hab einen total sauren Magen nach dem ganzen Zeug«, sagte Harry.
    Der warme Sekt hatte ihm schwer zugesetzt. Eine kleine Tüte Erdnüsse war offenbar keine ausreichende Grundlage für die unzähligen »Söhnleins«. Denn außer dem Frühstück in der Pension und einem Stück Friesentorte hatte Harry heute noch nichts zu essen bekommen. Zu den frischen Krabben, die er morgens erstanden hatte und die im Kühlschrank der »Nordseeperle« auf ihn warteten, war er gar nicht gekommen.
    »Ich brauch unbedingt noch was zu essen.«
    »Da bleibt nur der ›Klabautermann‹, grinste Kieseritzky leicht lallend. »Mein Kutter liegt ja eh in Steenodde.«
    Also radelten die beiden durch die auf einmal sternenklare Nacht am Watt entlang. Kieseritzky hatte immer ein Fahrrad auf seinem alten kleinen Kutter, der »Elsa«, mit dem er zwischen den Inseln hin und her schipperte. Der Leuchtturm warf seine kreisenden Lichtkegel über die ganze Insel durch die Dunkelheit, dass die beiden alle paar Sekunden immer wieder geblendet wurden. Dazwischen funkelten der Mond und die Sterne. Die Milchstraße zog sich in einem satt |92| leuchtenden Bogen, wie man es in der Stadt nie zu sehen bekommt, über den Himmel. Dazwischen warf das Süddorfer Leuchtfeuer sein rotes, dann für eine Weile ins Weiße und schließlich ins Grüne wechselnde Licht. Es war trocken. Aber die Nacht war kalt. Harry fühlte sich mit dem Rückenwind über die Insel schweben.
    »Mann, Harry, das solltest du dir auch überlegen. Die Idioten reißen dir diesen Leuchtturmscheiß aus den Händen. Hast es ja gesehen«, schrie Kieso gegen den Wind und streckte freihändig fahrend kurz beide Arme zur Seite.
    Harry zog während der Fahrt den Reißverschluss seines Troyers bis über das Kinn. Das letzte leicht abschüssige Stück rasten sie, wenigstens kam es Harry so vor, den Sandweg zu dem kleinen Hafen hinunter. Er musste sich ganz auf die Schlaglöcher konzentrieren. Dabei kam ihm ab und zu der in Schlangenlinien fahrende Kieseritzky in die Quere. Immer wieder tauchte sein Kopf mit der Schiffermütze als Silhouette vor dem mondbeschienenen Wattenmeer kurz neben ihm auf. Auf einmal musste er wieder an seine Noldes im Schrank denken. Waren die Bilder sicher? Müsste er nicht mal nach ihnen sehen, statt hier betrunken durch die Mondnacht zu segeln?
     
    Nachts wirkte der »Klabautermann« vergleichsweise gemütlich. Der Staub in dem Fischernetz war bei dem schummrigen Licht nicht zu sehen. Die Häkelgardinen fielen nicht mehr auf. Durch die Fenster war ohnehin kaum etwas zu erkennen außer dem durch |93| mehrere Peitschenlaternen ausgeleuchteten Anleger von Steenodde. Auch der Geruch des Bratfettes war jetzt etwas dezenter. Und nach dem Sekt hätte Harry bei Peter Maffay fast mitgesungen.
    »Wie sieht’s mit ’ner Kleinigkeit zu essen aus?«, fragte er übermütig den Wirt, dessen Haar heute Abend noch strähniger wirkte.
    »Sach ma, ihr habt vielleicht Nerven«, blaffte der übel gelaunte Fred zurück. »Wisst ihr, wie spät dat is?« Er trug dasselbe Fischerhemd wie gestern. Wie es auch Kieso anhatte. Albern, dachte Harry. Sie sahen aus, als wären sie im selben Shantychor oder so.
    »Gestern gab es noch Sauerfleisch«, gab Harry zu bedenken.
    »Jaja, Sauerfleisch«, stöhnte der Wirt. »Mann, Mann, Mann. Swantje, machst noch mal Sauerfleisch«, rief er in die Küche. »Zweimal?«
    Kieseritzky wollte auch Sauerfleisch und sagte bemüht norddeutsch »Jo«.
    Im Klabautermann saßen, abgesehen von dem Rentnerpaar, dieselben Gäste wie gestern. Rheinländerin Elke mit dem dicken Busen auf demselben Platz an der Theke, diesmal nicht in Ballonseidenjacke, sondern in einem luftigeren schwarzen Sweatshirt mit neongelbem Fledermausmuster. Weizen und Küstennebel hatten ihr offenbar genügend eingeheizt. Sie wirkte sichtlich erfreut, als sie Harry wiedererkannte. Drei Barhocker weiter saß Strandkorb-Peter. Er rauchte, strich sich immer wieder seine längeren dauergewellten Nackenhaare unter der angeschmuddelten Jeansjacke hervor und ließ sich ansonsten nichts anmerken.
    |94| Und dann stockte Harry der Atem. Auf dem Barhocker neben Strandkorb-Peter saß mit hochrotem Kopf, noch roter als gestern Morgen bei der Überfahrt: der Fährmann. Besonders scharf war er nicht darauf, den Typ wiederzusehen.
    Die Mütze der »Wyker Dampfschiffs-Reederei« war ihm leicht in den Nacken gerutscht. Er hatte Harry zunächst auch nicht gesehen. Aus der Musikbox kamen die Schlussakkorde

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