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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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bedenklich an. Die Schiffermütze rutschte ihm halb vom Kopf.
    Er riss ärgerlich seinen Mund auf, als wollte er zu einer erneuten Schimpftirade ansetzen. Aber er gurgelte nur kurz: »Grrörrl.« Und dann sackte er schwer nach vorne über und schlug mit dem Kopf auf den Eisenpoller. Fast wäre er mit seinem halb geöffneten Mund direkt auf Harrys Gesicht gelandet. Aber der konnte sich im letzten Moment zur Seite drehen. Der Schollengestank war trotzdem infernalisch. Harry wurde es speiübel. Während er mit dem Brechreiz kämpfte, nahm er für einen Moment all seine Kräfte zusammen |104| und stemmte den bulligen Körper von sich herunter zur Seite.
    »Hark Tadsen«, sagte Kieseritzky, der das schwere Holzruder noch fest umklammert hielt.
    »Hark Tadsen?«
    »Das ist der Dorfbulle in Nebel.«
    »Ach so, Hark.«
    Harry versuchte, mit dem Oberkörper langsam nach oben zu kommen. Ein stechender Schmerz durchschoss seinen Kopf.
    »Mein Gott, den hast du erwischt«, sagte er zu Reinhard, während er langsam auf die Beine zu kommen versuchte.
    »Wolltest du warten, bis das Arschloch uns alle macht.« Kieso griff Harry helfend unter die Achseln. »Alles klar mit dir?«
    »Scheiße. Ist der wirklich nur ohnmächtig?«
    Aus dem Ohr, an dem die schmale Kante des Ruderblattes ihn getroffen hatte, lief dick und grellrot das Blut. Sobald es auf den Asphalt tropfte, verdünnte sich das satte Rot in zarte Schlieren auf einer Pfütze, über die sich bei jeder Bö stoßartig immer wieder flüchtige kleine Waschbrettmuster hinwegkräuselten.
    Kieso, der inzwischen seine Schiffermütze wieder auf dem Kopf hatte, stieß den Fährmann mit der Kappe seiner derben Arbeitsschuhe in die Seite. Um zu prüfen, ob er noch ein Lebenszeichen von sich gibt.
    »Grrörrrl. Chrrur.« Der Idiot wurde wieder munter.
    Harry, der noch etwas krumm dastand, beugte sich |105| wieder zu ihm hinunter. Er hielt ihm die Hand vor den offenen Mund, um zu fühlen, ob er noch atmete. Kieseritzky stieß ihm währenddessen noch einmal seinen Schuh in die Rippen, worauf er prompt mit einem Gurgler antwortete. Sein eines Bein rutschte dabei über die Kante des Anlegers, dass es halb über dem Wasser hing.
    »Er scheint noch zu leben«, sagte Harry. »Verdammte Sch-scheiße, Kieseritzky. Was m-ma-machen wir jetzt mit ihm?«
    Seine Augen waren ein hellblauer Kreis mit einem schwarzen Punkt darin. Im Mondlicht leuchteten sie eisig stahlblau. Sie sahen Harry erstaunt an.
    »Chrrrr«, röchelte er ihn fast etwas flehend an.
    »Was sollen wir schon machen mit dem Riesenarschloch.« Kieso stupste ihn noch einmal mit dem Fuß in die Rippen.
    »Verdammt, wo sind wir da reingeschlittert.« Je mehr Harry zur Besinnung kam, desto panischer wurde er. Der pochende Kopfschmerz wurde immer heftiger. »Was sollen wir denn jetzt machen? Das ist doch alles eine große Scheiße hier!«
    Da trat Kieseritzky plötzlich an den Körper des röchelnden Fährmanns heran und beförderte ihn mit einem lässigen Fußtritt von der Molenkante hinunter in die Wellen. Im Fallen fasste eine der groben Hände hilflos nach dem angerosteten Eisenring, der an dem Anleger befestigt war. Aber durch den Sturz wurde der Arm von dem Betonrand gleich weggeschlagen. Trotz des Sturmes war das Plumpsen, mit dem der Fährmann ins Wasser fiel, deutlich zu hören.
    |106| »So sieht die Sache schon sehr viel besser aus.« Kieso versuchte ein dreckiges Grinsen. »Ahoi, du Arsch!«
    Der massige Körper, der kurz untergetaucht war, schwappte mit einem mächtigen Auftrieb wieder an die Wasseroberfläche. Der Fährmann schnappte mit aufgerissenen Augen nach Luft. Ein letztes kurzes »Grörl« war gegen die Brandung zu hören.
    »Bist du wahnsinnig? – Scheiße, der ersäuft!«, rief Harry.
    »Hat doch selbst Schuld.« Höhnisch warf Kieso ihm, als könne er sich damit retten, den Holzriemen hinterher. Und mit dem Fuß kickte er seine Mütze in die Wellen.
    Vom Wasser kamen schrille Vogelschreie. Für einen Moment schwamm der Körper noch wie aufgebahrt auf der Wasseroberfläche. Dann tauchte er urplötzlich wie durch einen Strudel gezogen nach unten weg. Nur die weiße Stoffkappe der W.D.R.-Mütze schwebte ein Stück weiter auf den Wellen. Harry starrte noch einen Moment auf die Stelle im Wasser, wo der Körper untergegangen war. Alles erschien ihm so unwirklich. Was zum Teufel machte er hier nur? Sie hatten gerade einen Menschen getötet. Nein, Kieseritzky hatte ihn getötet. Und vielleicht hatte Kieso auch recht: Der Typ

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