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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Pancho, der hier in den Dünen ein Objekt aus Strandgut, aus angeschwemmten Benzinkanistern und Muschelketten installiert hat. Es sieht aus wie ein in den Dünen gestrandetes altes großes Segelschiff. Von Strandpiraten gekapert.
     
    Die Friesenhäuser im alten Ortskern von Nebel wirken alle wie gerade frisch gestrichen. Mehrere neue Reetdachhäuser sind gerade im Bau, im traditionellen Stil, wie auf den Schildern vor der Baustelle zu sehen ist, mit Offerten für die entstehenden Eigentumswohnungen. Der Uasterstigh ist verstopft von Fahrradfahrern mit Kinderanhängern, von Touristen mit hoch gehaltenen Digitalkameras und Bollerwagen. Vor dem kleinen Zeitungsladen, in dem Harry damals die ersten Meldungen über seinen Raub gelesen hatte, ist ein regelrechtes Knäuel von Fahrradgestängen, Plastikspielzeug und menschlichen Körperteilen in Freizeitkleidung entstanden.
    Fast wird Harry von einem Rennrad erfasst. Es huscht nur kurz vorüber. Und durch den bläulich schillernden Fahrradhelm ist sein Fahrer gut getarnt. Doch im Vorbeifahren bemerkt Harry ganz plötzlich die spitzen Zähne in dem ergrauten rotblonden Bart. Und er hat das Gefühl, dass der Fahrradfahrer, der sich kurz umdreht und dann wegen des Verkehrs wieder nach vorn sehen muss, auch ihn erkennt. Noch als das Rennrad längst in einer der kleinen Seitenstraßen verschwunden ist, hat Harry das Rattenhafte des Mannes vor Augen. Und war da nicht auch eine Tüte auf dem Gepäckträger, prall |114| gefüllt mit Sandschollen oder Steinbutt und Krabben?
    Vor der »Nordseeperle« steht noch immer der Lieferwagen, den Harry morgens schon gesehen hat. Die aufgestellte, am Rand angerostete Hecktür mit einem N F-Kennzeichen steht ein Stück in den kleinen Sandweg hinein. Im Wagen steht allerlei Hausrat. Das alte Friesenhaus hat noch immer dasselbe Ochsenblutrot wie damals. Vermutlich noch derselbe Anstrich, denkt Harry. An mehreren Stellen blättert die Farbe blasig ab. Vor der Tür stehen zwei der Stühle mit dem Paul-Klee-Muster, an das er sich sofort erinnert. Außerdem ein altes Fahrrad und anderer Hausrat, der sich mit allerlei Baugerät mischt: Holzböcke, in Folie eingeschweißte Isolierwolle, Zementsäcke und ein Mischer. Aus dem Haus hört man Hämmern.
    »Das ist das Haus«, sagt Harry.
    »Aber im Augenblick ist es wahrscheinlich nicht ganz so günstig.« Zoe verzieht amüsiert die Mundwinkel und blinzelt ihm über ihre Sonnenbrille hinweg zu.
    »Ich geb’s ja zu. Aber dann heute Abend.« Mehr aus Witz zieht er kurz den Holzanhänger mit dem Schriftzug »Eiderente« aus der Hosentasche.
    Dass er mit seinem alten Zimmerschlüssel einfach so in die »Nordseeperle« hineinspazieren könnte, damit hatte er ohnehin nicht gerechnet. Aber er würde es einfach gern ausprobieren, ob der Schlüssel passt.
    »Bei Dunkelheit ist es sowieso besser. Wir sollten noch eine Taschenlampe besorgen.«
    |115| »Aber wir müssen jetzt nicht den ganzen Tag hier vor der Tür warten. Okay?«
    »Wir gehen heute Abend in Nebel essen. Und ich nehme den Schlüssel einfach mal mit.«
     
    Mit einer Reservierung in der »Seekiste« sind die beiden nicht sonderlich erfolgreich. Nach längerem Studium eines Tischplans bietet der Kellner ihnen zwei Plätze von 18 bis 20   Uhr an.
    »Das ist schade. Um diese Zeit trinken wir gerade unseren Aperitif«, sagt Zoe amüsiert arrogant in ihrem amerikanischen Akzent.
    Und auf dem Weg nach draußen durch das Glashaus dann ein bisschen giftiger: »Sie sind schon speziell, deine Friesen. Ist das hier üblich, dass man dir sagt, wann du Dinner haben sollst?«
    Harry muss schmunzeln. So viel hat sich tatsächlich nicht verändert auf Amrum, denkt er.
    Nachmittags gehen sie bei Niedrigwasser Austern sammeln. Im Fischladen in Nebel bekommen sie Zitrone und ein Austernmesser und in der Post, die gleichzeitig als Weinladen dient, einen Muscadet von der Loire und zwei kleine Gläser. Harry ist ganz euphorisch. Sie müssen gar nicht lange suchen an der Stelle, wo er vor achtzehn Jahren den Austernsammler getroffen hat. Da liegen sie halb im Schlick. Auf den meisten haften unzählige Muscheln, dass die beiden sich vorsehen müssen, sich nicht zu schneiden.
    »Ich hab noch nie so große Austern gesehen«, sagt Zoe begeistert.
    |116| Die Füße der beiden sind pechschwarz vom Schlick. Nur Zoes Nagellack blitzt mit ein paar roten Punkten durch den Dreck hindurch. Als sie die richtige Stelle gefunden haben, sammeln sie in kürzester Zeit jeder ein Dutzend. Die

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