Flucht übers Watt
›Feriengäste‹ erfahren hat.
Maja hatte das Bild also gefälscht, nachdem es damals eine ganze Weile verschollen war. Dann hat sie Kontakt zu dem Sammler aufgenommen, der den Nolde an das Museum ausgeliehen hatte. Sie hatte vorgegeben, das Bild wiederbeschaffen zu können, und ihm dann ihre Fälschung als Original verkauft. Natürlich nur für ein Vermittlerhonorar. Aber das wird angesichts des Wertes, den der Nolde hat, ganz beachtlich gewesen sein. Sie hatte Harry und Zoe die Details bis ins Kleinste geschildert. Sie war wohl froh, es überhaupt mal jemandem erzählen zu können, hatte Harry gestern den Eindruck. Aber was sie für das Bild bekommen hatte, damit rückte sie dann doch nicht heraus. Und er mochte auch nicht recht fragen. Er ist nur froh, dass seine originalen ›Feriengäste‹ vermutlich immer noch hinter den ›Öömrang wüfen‹ versteckt sind.
|260| Es ist endlich Mittwoch. Harry und Zoe sind auf dem Weg zu dem Antiquitätenladen, in dem die ›Öömrangen‹ angeblich gelandet sein sollen. Es herrscht wieder strahlender Sonnenschein. Jeden Morgen beim Aufwachen im Hotel liegen sonnige Lichtflecken auf den geblümten Laura-Ashley-Gardinen. Und am Meer erwartet sie ein blank geputzter Himmel in sattem Blau und davor, strahlend weiß, auf Stelzen über dem Strand schwebend, die hölzernen Bademeisterhäuschen der DLRG. Die Rettungsschwimmer sind noch gar nicht eingezogen, obwohl die ersten braungebrannten Nackten schon mutig ins Wasser stapfen. Im Vergleich zu gestern auf Sylt ist hier alles wunderbar entspannt, findet Harry. Vielleicht gibt es nicht so chice Restaurants auf Amrum. Aber dafür gibt es auch weniger Schnösel in Poloshirts und garantiert keine schwarzen Porsche oder Champagner-Sonnenschirme. Auf Amrum muss man nicht überlegen, was man anzieht. Fast könnte man das Zeitgefühl verlieren, denkt Harry. Ein lässiger Frühsommer an der Nordsee. Und dann dieses unglaubliche Wetter.
»Hier könnte ich mir auch vorstellen zu leben«, sagt Zoe. »Wenn wir nicht unseren Leuchtturm hätten und Tippi nicht ihre Highschool-Freundinnen.«
»Bist du sicher?« Harry deutet auf das Schild, an dem sie schon einmal vorbeigelaufen sind. »Vernünftige steigen ab. Den anderen ist das Radfahren verboten.«
»Vielleicht würde ich dann ja dahinterkommen, was das eigentlich zu bedeuten hat.«
»Ich fürchte nicht.«
|261| Aber so schlimm findet er die Schilder gar nicht mehr nach dem gestrigen Sylt-Besuch. Es ist doch beruhigend, dass auf Amrum alles beim Alten geblieben ist. Und mit den wenigen Veränderungen kann er sich arrangieren. Dass in der »Blauen Maus« jetzt Rauchverbot herrscht, kann ihn als Nichtraucher heute nicht mehr aufregen. Und dass die Bedienung beim Schlachter in Nebel sächsisch spricht, findet er höchst vergnüglich. Die lokalen Spezialitäten »Friesentorte« und »Wattwürmer« versprechen auf Sächsisch ganz neue Geschmackserlebnisse.
Vor dem »Hüs Raan« sitzt eine junge Frau auf einem Stuhl in der Sonne und liest. Der Laden ist tatsächlich geöffnet. Die Frau ist sehr viel netter als die übellaunige Grauhaarige, die neulich aus dem Nebenhaus kam. Aber alle Freundlichkeit hilft nichts. Das Bild ist nicht da. Wieder kommt Harry nur einen Moment zu spät.
»Die ›Öömrangen‹, ich weiß genau«, sagt die Frau in kurzen Hosen, die ihr Buch gar nicht aus der Hand legt, als sie gemeinsam in den Laden gehen.
»Es hat diesen seltsamen Titel ›Öömrang wüfen uun Öömrang‹, glaube ich. Wissen Sie, was das bedeutet?«
»Amrumer Frauen in Tracht. Die Amrumer nennen ihre Tracht auch einfach Öömrang, also Amrumer. Wir hatten das Bild für ein paar Tage hier. Das ist mit nach Norddorf gegangen.«
»Nach Norddorf?«, fragt Harry beunruhigt.
»Hat Sie das Bild wirklich interessiert? Sind Sie |262| sicher? Ich meine, es war, wie soll ich sagen, schon ein bisschen kitschig. Oder?« Sie guckt die beiden prüfend an. »Diese alten Bilder, die hier früher in den Wohnzimmern hingen, verkaufen sich nicht mehr. Die Kunden wollen jetzt was anderes.«
»Es hat persönliche Gründe«, nuschelt Harry enttäuscht.
»Wie wär’s denn mit dem alten Schoner, den wir hier haben. Wenn es schon etwas in der Art sein soll, finde ich so ein richtiges Kapitänsbild ja schöner.« Sie zeigt auf ein Ölbild eines alten Seglers in stürmischer See, gemalt im romantischen Stil in dunklen Brauntönen.
»Mir geht es speziell um die Amrumerinnen. Was heißt das denn: Sie sind
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