Flucht vor den Desperados
Brett des Fensterlochs fest, hob den Kopf & spähte nach draußen.
»Ich glaube, die Luft ist rein«, sagte ich und warf Belle einen Blick zu. Sie hatte den Inhalt ihrer Handtasche auf den rauen Dielenboden gekippt. Ich sah ein Fläschchen für Schießpulver & einen Ladestock & einige kleine Zündhütchen aus Messing. Sie lud die merkwürdige Waffe mit dem einzelnen Lauf und den zwei Hähnen nach. Ich sah, dass die Pistole gerillte Kugeln von der Größe einer Kichererbse aufnahm. Ihr musste mein Interesse aufgefallen sein, denn sie sagte: »Das ist eine Double Deringer. Ein Mr Lindsay hat sie erfunden, nachdem sein Bruder von zwei Indianern überfallen worden war und er nur eine Kugel in seiner Pistole gehabt hatte.«
»Darf ich sie mir anschauen?«
»Ich fürchte, nein«, sagte Belle und drückte das zweite Zündhütchen rein.
Dann hob sich die frisch geladene Deringer und zielte direkt auf mein Herz. »Ich muss dich jetzt bitten, mir deine Zwanzig-Dollar-Goldmünze zu geben«, sagte sie. »Und den Tausend-Dollar-Brief ebenso.«
KONTOBUCHBLATT 11
Entsetzt starrte ich Belle Donne an.
Ihre blauen Augen funkelten.
»Du wirst es bald lernen«, sagte sie. »Hier in Virginia denkt jeder zuerst an sich. Jeder Mann und jede Frau. Nun gib mir, was du hast.«
Da hat mich mein Stachel mal wieder in Schwierigkeiten gebracht, dachte ich nur.
Ich ließ rasch meinen Blick schweifen, auf der Suche nach etwas, mit dem ich mich verteidigen könnte. Aber es gab noch nicht einmal ein loses Bodenbrett, und mir war immer noch schwindelig.
Sie spannte beide Hähne ihrer seltsamen Pistole. »Denk nicht einmal dran«, sagte sie. »Gib mir, was ich von dir haben will.«
Ich griff in meinen Medizinbeutel, holte die Zwanzig-Dollar-Münze und den Brief heraus und reichte ihr, was sie gefordert hatte. Ohne die Augen von mir abzuwenden, öffnete sie ihre perlenbesetzte Handtasche und steckte beides ein.
Sie fuchtelte mit ihrer Double Deringer. »Was hast du da sonst noch drin?«
»Nichts«, sagte ich. »Nur das Steinmesser von meiner indianischen Mutter und den Detektivknopf von meinem Pa.«
»Was ist ein Detektivknopf?«
Ich antwortete nicht.
»Sag’s mir«, zischte sie. »Sonst erschieße ich dich.«
Ich nahm den Knopf aus meiner rechten Jackentasche und zeigte ihn ihr. »Es ist ein Knopf von der Jacke meines toten Vaters«, sagte ich. »Er ist alles, was ich von ihm habe. Er war Detektiv bei der Eisenbahn.«
Sie runzelte die Stirn. »Was ist ein Detektiv?«
»Ein Detektiv ist jemand, der Verbrechen aufklärt, indem er Hinweisen nachgeht. Wie Mr Bucket in
Bleak House
. Ein Detektiv bei der Eisenbahn beschützt Menschen und Waren auf einem Zug.«
Sie sagte: »Wer ist Mr Bucket und was ist ein Bleak House?«
»Es ist eine erfundene Figur in einem Buch von Charles Dickens«, sagte ich. »Haben Sie noch nie von Dickens gehört?«
Sie antwortete nicht auf meine Frage. Stattdessen fragte sie: »Ist der Knopf wertvoll?«
»Nur für mich«, sagte ich. »Er hat einen sentimentalen Wert.«
»Du wirkst nicht gerade wie ein sentimentaler Mensch auf mich«, sagte Belle Donne. »Du bist ein kaltes und herzloses Kind, wenn du so ohne Gefühl über den Tod deiner Eltern sprechen kannst.«
»Das ist mein Stachel«, sagte ich. »Ich kann Gefühle nicht leicht ausdrücken. Oder sie bei anderen erkennen. Aber ich werde meine Ma und meinen Pa von ganzem Herzen vermissen.«
Sie fragte: »Haben sie dich je geschlagen?«
»Nein.«
»Dann solltest du dich glücklich schätzen.«
Ich sagte: »Ich schätze mich wirklich glücklich. Sie waren beide sehr gut zu mir. Ma Evangeline hat mir das Lesen beigebracht, und Pa Emmet hat mich das Wort Gottes gelehrt.«
Belle Donne sagte: »Setz dich hin, wie es die Indianer machen. Ich werde dir die Hände fesseln.«
Ich drehte mich um und setzte mich im Schneidersitz hin.
Ich spürte, wie sie hinter mir meine Handgelenke aneinanderband. Später fand ich heraus, dass sie dafür ein rotes Band von ihrem Hut benutzt hatte.
Ich sagte: »Was Sie da machen, ist nicht richtig.«
»Ich brauche diese Goldmünze dringender als du, P. K. Ich habe eine schlechte Angewohnheit.«
Ich sagte: »Ich will nur genug Geld, um eine Fahrkarte nach Chicago zu bekommen.«
»Leg dich auf die Seite«, sagte Belle, »und beug deine Knie. Ich werde deine Fußgelenke an deine Handgelenke binden.« Während sie meine Fußgelenke zusammenband, sagte sie: »Was gibt’s denn in Chicago?«
»Mein Onkel Allan Pinkerton leitet
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