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Flucht vor den Desperados

Flucht vor den Desperados

Titel: Flucht vor den Desperados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Lawrence
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die angenehmere Alternative zu sein zu einer Begegnung mit Walt, dem Schnitzer, und seinem langen Messer.
    Ich schloss die Augen und versuchte es mit dem Halbfertigen-Haus-Trick. Dabei tut man so, als wäre man Teil des halb fertigen Hauses und würde mit ihm verschmelzen.
    Es funktionierte nicht.
    Meine Nase witterte den Geruch von Seifenlauge und von etwas, das chemisch roch und das ich nicht kannte. Ich öffnete meine Augen und sah zwei Sandalen mit hölzernerSohle. Über den Sandalen folgten ein Paar lose, verblichene blaue Pumphosen und darüber ein blaues Hemd und ein chinesischer Junge, der zu mir hinunterschaute. Seinen Gesichtsausdruck konnte ich nicht deuten.
    Er kauerte sich herunter. »Sei leise, Dummkopf!«, zischte er. »Ich glaube, der Mann, der hinter dir her ist, ist in der Nähe!« Er begann, an den verknoteten Bändern an meinen Handgelenken herumzufummeln. Er versuchte, mich loszubinden.
    Ich sagte: »In dem Medizinbeutel an meinem Hals ist ein Steinmesser.«
    Er fand meinen Medizinbeutel und holte die steinerne Klinge hervor. Schnell hatte er mich losgeschnitten.
    »Komm!«, sagte er, reichte mir das Messer und die zerschnittenen Stücke des roten Bandes. »Hopp, hopp!« Rüde zog er mich durch eine Öffnung in der Wand, wo später einmal die Hintertür sein würde.
    Meine Handgelenke schmerzten und meine Fußgelenke waren eingeschlafen und kribbelten, aber ich schaffte es, hinter ihm einen staubigen Hang hinaufzuklettern. Wir benutzten verkrüppelte Beifußsträucher als Griffe, um uns hinaufzuziehen. Dabei schreckten wir die Familie der Wachteln auf, die mich gedrängt hatten, nach Chicago zu gehen. Die Vögel machten sich aus dem Staub.
    Der Hang war hier derartig steil, dass einige der Häuser auf hohen Stelzen errichtet waren. Der junge Celestial führte mich unter eines dieser Häuser, dorthin, wo die Schatten am tiefsten waren. Er blieb stehen, schaute sich um und stellte sicher, dass die Luft rein war. Dann erklommen wir den steilen Hang weiter, bis wir eine ArtGasse zwischen zwei hölzernen Häusern erreichten. Ich bin nicht dick, doch ich konnte mich kaum hindurchquetschen. Der chinesische Junge war größer als ich, aber vielleicht auch noch etwas dünner. Ich nahm an, dass er nicht so gutes Essen bekam wie ich.
    Schließlich traten wir aus der Gasse auf eine staubige Straße mit hölzernen Gehsteigen auf jeder Seite, die sehr belebt waren. Ich hatte noch nie so viele Menschen zusammengedrängt an einem Ort gesehen. In der rempelnden Menge konnte ich Frauen lachen & Männer brüllen & Musik spielen hören. Der Krach wurde noch lauter, da bei vielen Gebäuden Balkone über den Gehsteigen eine Art Dach bildeten & den Lärm zurückwarfen. Einige der Häuser waren aus Holz gebaut, andere aus Backstein, und gegenüber an der Ecke stand ein sechsseitiges stattliches Haus aus grauem Stein. Auf der Straße waren jede Menge Wagen und Kutschen unterwegs, die alle Staubwolken aufwirbelten.
    »Unterrock-Junge!«, sagte der Celestial. »Hör auf zu starren. Folge mir.«
    »Unterrock-Junge?«, wiederholte ich.
    »Ich hab gesehen, wie du dich versteckt hast unter dem Rock von einer schlechten Frau. Ich bin dir gefolgt.«
    In diesem Moment fiel mir ein, dass er der Junge gewesen war, der vor dem HONG WO, WÄSCHER die Laken aufgehängt hatte.
    Ich sagte: »Du bist der Junge, der vor dem Hong Wo, Wäscher die Laken aufgehängt hat. Mein Name ist P. K. Pinkerton. Danke, dass du mich gerettet hast.«
    Er sagte: »Ich bin Ping. Jetzt halt die Klappe und komm.Hopp, hopp! Ich bringe dich an einen Ort, wo du dich umziehen kannst. Du bist auffällig wie eine Grille in einer Schale Reis.«
    Ich hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen & zu hoffen, dass er nicht auch noch versuchen würde, mich auszurauben & zu töten. Als er mich über den knarrenden Gehsteig durch die drängende Menschenmenge führte, bemerkte ich, dass beinahe alle Männer Minenarbeiter waren. Ich erkannte sie an ihren Flanellhemden & Arbeitshosen & kniehohen Stiefeln & buschigen Bärten. Es waren zehnmal mehr Männer als Frauen.
    Mir fiel auf, dass jedes zweite Gebäude, an dem wir vorbeikamen, ein Saloon oder eine Hurdy-Hall war. Das erkannte ich an der Musik, die aus ihnen herausschallte: meistens das Stück »Camptown Races«. Aber es gab neben den Saloons auch andere Gebäude. Ich erblickte einen Kurzwarenladen, einen Metallprüfer, eine Wells-Fargo-Bank usw. Es gab hier oben sogar eine chinesische Wäscherei.
    Die Leute schauten mich

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