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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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die den Stiel in eine tödliche Waffe verwandelten. Ich bückte mich nicht, um an den Blüten zu riechen, aber der Gestank erreichte mich dennoch, stechend warm und aggressiv ranzig.
    Neben den Rosen gab es eine Sammlung fleischfressender Pflanzen. Venus-Fliegenfallen, Sonnentau und andere, die ich nicht kannte. Alle größer und robuster, als ich sie je gesehen hatte. Grüne Mäuler, die weit offenstanden. Saft, der von Fangarmen tropfte. Auf dem Tisch lagen ein rostiges Küchenmesser und ein Stück Fleisch, das in kleine Würfel geschnitten war. Jeder Würfel war durchsetzt von Maden, die meisten davon tot. Eine der fleischfressenden Pflanzen hatte es geschafft, ihr Blütenmaul bis auf den Tisch zu senken und sich einige der weißen Maden mit ihrem widerlich süßen Verwesungsgeruch zu schnappen. Daneben gab es noch mehr Leckerbissen für die Fleischfresser: eine Kaffeekanne, bis obenhin gefüllt mit getrockneten Käfern und Fliegen. Es raschelte in der Kanne, dann kroch ein lebendiges Insekt heraus, ein wespenähnliches Wesen mit einem Scherenmaul und einem geschwollenen Hinterleib. Es starrte mich an, dann summte es davon. Als es zur Tür hinausgeflogen war, rannte ich hin und schlug sie zu, daß die Glasscheiben zitterten.
    Dazu tropfte es ständig von oben herab, und durch die Bewässerung blieb alles kräftig und lebensfähig…
    Mir war übel geworden. Mit weichen Knien ging ich weiter. Es gab eine Sammlung von Bonsai-Oleanderbüschen, Blätter, die zu Pulver zerstampft in hohen Blechtonnen aufbewahrt wurden. Offenbar hatte man das Pulver an Feldmäusen auf seinen Giftgehalt getestet. Von den Mäusen war nicht viel mehr als die Knochen und die Zähne übrig, umgeben von Fetzen des im rigor mortis erstarrten Fleisches. Den Rest hatte man benutzt, um Paletten mit Pilzen zu düngen. Eine jede Palette war sorgfältig beschildert: Amanita muscaria. Boletus miniatoolivaceus. Helvella esculenta.
    Die Pflanzen in der nächsten Abteilung sahen frisch und saftig aus, waren aber nicht weniger tödlich: Schierling, Fingerhut, schwarzes Bilsenkraut, Tollkirsche. Ein prächtiges Schlinggewächs entpuppte sich als Giftefeu.
    Es gab auch Obstbäume. Scharf und säuerlich riechende Orangen und Zitronen, zu scheußlichen, verwachsenen Krüppeln gestutzt und gezogen. Ein Apfelbaum, beladen mit mißgestalteten Tumoren, welche die Früchte darstellten. Ein Granatapfelbusch, überzogen mit einem schleimigen Gelee. Fleischfarbene Pflaumen mit Kolonien sich windender Maden. Obst, das auf dem Boden verfaulte. Und so weiter und so fort: der stinkende, abstoßende Alptraum einer Pflanzschule.
    Und dann, überraschend, etwas anderes:
    Am Ende des Gewächshauses stand ein einzelner Baum in einem handbemalten Tontopf. Gut geformt, gesund, auffallend normal. Aus dem Abfall und dem Schmutz, der den Boden des Gewächshauses bedeckte, war ein Hügel aufgehäuft worden, und der Tontopf mit dem Baum stand darauf, erhöht, als wäre er ein Gegenstand der Verehrung. Ein wunderschön aussehender Baum mit hängenden elliptischen Blättern und Früchten, die an ledrig-grüne Pinienzapfen erinnerten.
    Als ich wieder draußen war, holte ich erst einmal gierig frische Luft. Hinter dem Gewächshaus war ein Streifen Brachland, das an der schwarzen Mauer des Waldes endete. Ein gutes Versteck, dachte ich, und bahnte mir mit dem Licht der Taschenlampe einen Weg zwischen den massiven Stämmen der Redwoodbäume und Tannen. Der Waldboden, eine weiche Decke von abgefallenen Nadeln und Humus, federte unter meinen Füßen. Kleine Tiere flohen vor mir in die Büsche. Aber zwanzig Minuten Suchen brachten nicht die geringste Spur einer menschlichen Behausung.
    Ich ging zurück zum Haus und schaltete das Licht im Gewächshaus aus. Das Vorhängeschloß an der hinteren Haustür hing an einem dünnen Verschlußbügel, der beim leichtesten Ansetzen des Brecheisens nachgab.
    Ich betrat das dunkle Haus durch einen kleinen Innenhof, der in eine große, kalte Küche führte. Strom und Wasser waren abgestellt. Das Gewächshaus hing offenbar an einem eigenen Stromkreis. Ich benutzte die Taschenlampe bei meinem Weg durch das Haus.
    Die Räume im Parterre waren muffig und dürftig möbliert; an den Wänden fehlten Bilder oder Fotografien. Ein ovaler, handbestickter Teppich bedeckte den Boden im Wohnzimmer. An der einen Wand standen ein Sofa, das wie aus einem Second-Hand-Laden aussah, und zwei Klappstühle aus Aluminium. Das Eßzimmer war ein Aufbewahrungsort für Pappkartons,

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