Flüchtig!
gefüllt mit alten Zeitungen und gebündeltem Feuerholz. Bettlaken dienten hier als Vorhänge.
Oben gab es drei Schlafzimmer, ein jedes mit rustikalen Möbeln und gußeisernen Betten ausgestattet. Das Zimmer, das Woody gehört hatte, zeigte noch einen Hauch von Fröhlichkeit: eine Spielkiste neben dem Bett, Plakate seiner Superhelden an den Wänden, ein Souvenir-Wimpel über dem Kopfbrett.
Auf Nonas Kommode standen Parfümflakons aus geschliffenem Glas und Flaschen mit allen möglichen Lotionen. Die Kleidungsstücke in ihrem Schrank bestanden überwiegend aus Jeans und dünnen Oberteilen. Ausnahmen waren eine kurze Kaninchenfelljacke, wie sie die Huren auf den Straßen Hollywoods bevorzugten, und zwei duftige Partykleider, das eine rot, das andere weiß. Die Schubladen waren vollgepackt mit Nylons und Unterwäsche und rochen nach getrocknetem Lavendel. Aber wie bei den unteren Räumen war auch ihr privater Lebensbereich ohne jegliche persönliche Note. Kein Album, kein Tagebuch, keine Liebesbriefe oder Souvenirs. Ich fand ein zerknittertes, liniertes Notizbuch in der untersten Kommodenschublade. Es war vergilbt und wies hundertmal dasselbe zusammengesetzte Wort auf: Scheiss-Madronas. Wie eine Strafarbeit in der Schule.
Das Schlafzimmer der Eltern lag zum Gewächshaus hin. Ich fragte mich, ob sie morgens aufgewacht waren, hinuntergeschaut hatten auf diese Mutationskammer und sich über das freuten, was sie dort geschaffen hatten. Hier standen zwei Einzelbetten mit einem Nachttisch dazwischen. Die restliche Bodenfläche war wieder mit Pappkartons zugestellt. Einige enthielten Schuhe, andere Handtücher und Bettwäsche, wieder andere nichts als weitere Pappkartons. Ich öffnete den großen Wandschrank. Die Garderobe der Eltern war bescheiden, unansehnlich, längst aus der Mode und bewegte sich in Farbtönen zwischen Schwarz, Grau und Braun.
An der Decke des Wandschranks befand sich eine kleine Falltür. Ich fand einen Hocker hinter einem angeschimmelten Wintermantel, stieg hinauf und streckte mich, um gegen die Falltür zu drücken. Sie öffnete sich mit leisem Zischen, und durch die Öffnung glitt automatisch eine Schiffsleiter herunter. Ich prüfte sie, fand sie sicher genug und kletterte nach oben.
Der Dachboden war so groß wie die Gesamtfläche des Hauses, gut und gern einhundertzwanzig Quadratmeter. Und er war zu einer Bibliothek umgestaltet worden, wenn auch nicht gerade zu einer eleganten.
Bücherregale aus Sperrholz waren an allen vier Wänden befestigt. Vor einem der Fenster stand eine Art Schreibtisch, aus billigem Holz zusammengenagelt, und vor dem Schreibtisch ein Klappstuhl aus Metall. Der Boden war von Sägemehl bedeckt. Ich schaute mich nach einem anderen Raum um, fand aber keinen. Die Fenster waren klein und mit Holzleisten eingefaßt. Es hatte nur eine Möglichkeit gegeben, die Bretter hier heraufzuschaffen: durch die Falltür von unten. Sie waren offenbar erst hier oben zu Regalen und zum Schreibtisch zusammengenagelt worden.
Ich ließ das Licht der Taschenlampe über die Bücherrücken gleiten, die in den Regalen standen. Außer einer Sammlung von dreißig Jahresbänden Reader’s Digest und einem Regal mit National Geographics handelte es sich ausschließlich um Werke, die sich mit Biologie, Gartenbau und verwandten Themen befaßten. Es gab Hunderte von Zeitschriften der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität in Riverside, gebundene Drucksachen aus dem Landwirtschaftsministerium der Bundesregierung in Washington und Stapel von Sämereikatalogen. Eine Reihe übergroßer, ledergebundener Einzelbände der Enzyklopädie der Früchte, in England im Jahr 1879 gedruckt und mit handkolorierten Lithographien gedruckt. Reihen wissenschaftlicher Texte über Pflanzenpathologie, Bodenbiologie, Wald und Forstwirtschaft, Genforschung. Ein Führer für Wanderer: Bäume in Kalifornien. Komplette Jahressammlungen von Horticulture und Audubon. Kopien von Patentschriften über landwirtschaftliches Gerät.
In vier Fächern des Regals, welches dem Schreibtisch am nächsten stand, fanden sich Loseblattsammlungen in blauen Ringheftern, die mit römischen Zahlen numeriert waren. Ich nahm Band I heraus.
Das Deckblatt trug das Datum 1965. In dem Hefter befanden sich dreiundachtzig handbeschriebene Blätter. Die Schrift des Verfassers war schwer zu entziffern - ungelenk, mit starker Linksneigung, von wechselnder Intensität. Ich hielt die Taschenlampe mit der einen Hand und blätterte mit der anderen um, bis
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