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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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längere Zeit aus«, sagte ich.
    »Als ob ich das nicht wüßte! Das Leben ist zu kurz. Sehen Sie, deshalb laufe ich - ich komme ganz ausgebrannt nach Hause, und wenn ich meinen Körper ein, zwei Stunden bis an die Grenzen der Belastbarkeit getrieben habe, fühle ich mich wieder wie neu.«
    »Sie sehen jedenfalls großartig aus.«
    »Meinen Sie? Ich machte mir schon Sorgen, weil ich zu mager werde. In letzter Zeit habe ich kaum noch Appetit - ach, verdammt, das hört sich an, als wäre ich total egomanisch, über so etwas zu meckern, wo ich tagtäglich Menschen in wirklichen Lebenskrisen erlebe.«
    »Auch das Meckern ist ein gottgegebenes Recht.«
    »Ich versuche, es so zu sehen.« Sie lächelte und zog ein Notizbuch heraus. »Ich nehme an, Sie wollen eine komplette psychosoziale Schilderung der Familie Swope hören.«
    »Ich glaube, es würde mir weiterhelfen.«
    »Die Überschrift dieser Schilderung könnte Eigenartig lauten - es sind sehr sonderbare Menschen, Alex. Die Mutter sagt kaum ein Wort, der Vater redet für alle anderen, und die Schwester kann beide nicht ausstehen.«
    »Warum sagen Sie das?«
    »Man braucht nur zu beobachten, wie sie ihre Eltern ansieht. Und sie ist nie gleichzeitig mit ihnen da. Es ist, als ob sie sich fehl am Platze fühlt. Sie kümmert sich auch kaum um Woody, wenn sie hier ist, und zeigt sich zu den sonderbarsten Zeiten, kommt oft spät abends oder ganz früh am Morgen. Die Schwestern von der Nachtschicht sagen, daß sie meistens nur dasitzt und den Jungen anstarrt. Er schläft sowieso fast die ganze Zeit. Manchmal steht sie auf, geht hinein und liest ihm aus einem Buch vor, aber das ist dann auch schon alles. Und der Vater tut auch nicht gerade viel, was den Jungen anregen könnte. Er flirtet mit den Schwestern und gibt sich so, als wüßte er über alles Bescheid.«
    »Raoul hat mir das auch schon gesagt.«
    »Selbst Raoul ist nicht vor Erkenntnissen gefeit.« Sie lachte boshaft.
    »Aber im Ernst, dieser Mr. Swope ist ein ziemlich komischer Vogel. Ein großer, bulliger Kerl, grauhaarig, mit Bierbauch und einem kleinen Ziegenbart. Wie Buffalo Bill ohne das lange Haar. Er ist total von seinen Gefühlen abgetrennt - ich weiß, es ist eine Art von Selbstverleugnung, und so etwas ist keineswegs unbekannt, aber bei ihm geht es weit über das hinaus, was wir normalerweise erleben. Sein Sohn erkrankt an Krebs, und er lacht und schäkert mit den Schwestern herum, versucht sich als einen Dazugehörigen auszugeben, redet über seinen Obstgarten und seine kostbaren Pflanzen und wirft mit gartentechnischen Spezialausdrücken nur so um sich. Sie wissen, was mit solchen Kerlen passieren kann.«
    »Ein plötzlicher Zusammenbruch.«
    »Genau. Auf einmal haut es ihn dann um - zack, weg. Eine pathologische Reaktion auf großen persönlichen Kummer.«
    »Das hört sich nicht so an, als ob der Junge von der Familie viel Unterstützung bekäme.«
    »Dann die Mutter: das unterwürfigste Wesen, das mir jemals begegnet ist. Garland Swope ist Herr und König in seinem Schloß. Aber sie scheint eine gute Mutter zu sein, eine Ernährerin, die viel umarmt und küßt. Sie geht oft hinein in die Kapsel, und ohne Zögern. Sie wissen, wie unheimlich dieser Weltraumanzug auf viele Eltern wirkt. Sie ist schon beim erstenmal richtig hineingesprungen. Die Schwestern sehen, wie sie sich in die Ecken drückt und weint, wenn sie glaubt, daß niemand zuschauen kann, aber sobald Garland auftaucht, zeigt sie ein großes, breites Lächeln. Dann heißt es ›Ja, mein Lieber‹ und ›Nein, mein Lieber‹. Wirklich, eine traurige Angelegenheit.«
    »Warum, glauben Sie, wollen die Swopes das Kind mitnehmen?«
    fragte ich.
    »Ich weiß, Raoul nimmt an, daß die Leute von dieser Berührungs-Sekte dafür in Frage kommen; er ist geradezu paranoid, was alles Ganzheitstheoretische betrifft. Aber wie kann er dessen so sicher sein?
    Vielleicht ist er selbst an allem schuld. Vielleicht hat er die Beziehung zu den Eltern verpatzt. Er ist sehr aggressiv, wenn er die Behandlungsprotokolle beschreibt, und die meisten Leute werden von seinem Verhalten abgestoßen.«
    »Er scheint zu glauben, daß sein Forschungsstipendiat dafür verantwortlich ist.«
    »Augie Valcroix? Ach, der marschiert auch nach seinem eigenen Trommler, aber er ist ein anständiger Kerl. Einer der wenigen Ärzte, die sich wirklich Zeit nehmen, sich mit den Familien zusammensetzen und wie normale Menschen verhalten. Er und Raoul können einander nicht ausstehen, was

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