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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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So lange, wie er Rashija bereits regierte, musste der Herrscher sehr alt sein. Adeen versuchte, sich sein Gesicht vorzustellen, runzlig, eingefallen und mit einer Haut, die vom Alter geschwärzt und vertrocknet war wie die einer einbalsamierten Leiche, weißes Haar, eine Magierrobe in Schwarz- und Grautönen, denn wer die Malerei verbot, konnte keine Farbe am eigenen Körper tragen. Bosheit hatte seinen dürren Körper gebeugt und Spuren in sein Gesicht gefressen wie Narben.
    Der Mann, dem wir unser elendes Schicksal verdanken.
Talanna hatte recht, und nun, da dieses verbitterte dunkle Gesicht vor Adeens Augen schwebte, verstand er nicht, weshalb er nicht selbst darauf gekommen war: Nur der Tod des Herrschers konnte den Krieg beenden. Und das war es, was Talanna gewollt hatte: Um wieder gutzumachen, dass sie jemals für ihn gearbeitet hatte, wollte sie ihn töten – oder bei dem Versuch sterben.
    Der Aschevogel schrie.
    Adeen rieb sich die Stirn, um das Echo des Schreis aus seinem Kopf zu verscheuchen. »Ich komme mit dir, Talanna«, sagte er, »und mich kümmert nicht, ob es dir passt. Du kannst den Herrscher allein nicht bekämpfen. Wenn hier jemandem Schriftrollen- und Artefaktmagie zur Verfügung steht, um sich zu verteidigen, dann ihm. Du brauchst einen Magier, der dir hilft.«
    Die Art, wie Talanna ihm den Kopf zuwandte, wie sie ihn musterte und den Unterkiefer vorschob, verriet ihm, dass seine Worte genau das waren, was sie all die Zeit über
nicht
hatte hören wollen. »Geh nach Hause, Krähe.« Ihre Stimme war brüchig. »Du kannst doch nicht einmal dir selbst helfen.«
    Sätze wie diesen hatte er oft genug gehört, und sie berührten ihn nicht länger. Er mochte eine verrückte Krähe sein, aber die Krähe war nicht schwach, war es nie gewesen. »Die Wahrheit ist«, sagte er langsam, »dass ich wahrscheinlich der einzige Magier in Rashija bin, der dir überhaupt helfen kann.« Das Bild der niedergestochenen Schreiberin schob sich vor sein inneres Auge, und er holte tief Atem. Er wollte nicht, dass noch mehr Blut vergossen wurde, aber es war richtig, diejenigen aufzuhalten, die für ein solches Gemetzel verantwortlich waren – oder? »Der einzige Magier, der seine Kräfte noch hat.«
    »Ja«, sagte Talanna. »Das bist du.« Sie schwieg einen Moment, dann fragte sie: »Und was bin ich für dich?«
    »Wie meinst du das?«
    Das blaue Licht fiel nur auf eine Seite ihres Gesichts, die andere lag im Schatten. »Während des Kampfes … kurz bevor ich Nirul niedergeschlagen habe … du wolltest etwas rufen. Aber du hast nicht zu Ende gesprochen.«
    »Oh, ja.« Bei all der Aufregung hatte Adeen es schon beinahe vergessen, und in diesem Moment wäre es ihm lieber gewesen, die anderen hätten nicht mitgehört. Als er nicht gewusst hatte, ob er einen Moment später noch am Leben sein würde, war es einfacher gewesen, die Worte herauszulassen. Er verzog einen Mundwinkel zu einem scheuen Lächeln. »Du bist … nun, diejenige, die ich liebe, was sonst?«
    »Unverbesserlich«, sagte Talanna leise, »Träumer.« Dieses Mal klang sie beinahe zärtlich. »Niemand von uns wird dem anderen auch nur einen Schritt Boden überlassen in diesem Kampf, oder?«
    Das ist es also für sie – ein Kampf?
»Wenn du damit meinst, ob ich dich allein gehen lasse, nein.«
    In Talannas Augen lag ein warmer und lebendiger Glanz. »Wir haben schon zu viel Zeit verloren, Magier«, sagte sie, »gehen wir.«

    Qualm füllte die Räume und Korridore der Akademie und ließ sie husten. Die Wachen, die mit Eimern voller Löschwasser durch die Gänge hasteten, waren so verunsichert und von ihrer Aufgabe in Anspruch genommen, dass sie problemlos an ihnen vorbeischleichen konnten. Bereits in den Gängen schlug ihnen Lärm von draußen entgegen. Als Adeen gemeinsam mit den anderen den Hintereingang erreicht hatte, gellten Schreie so laut in seinen Ohren, dass sein Kopf davon dröhnte.
    Auf dem Platz vor dem Gebäude, der vorhin noch wie ausgestorben dagelegen hatte, hatte sich eine Menschenmenge angesammelt: Zerlumpte Gestalten, Männer und Frauen in den bunten und kostbar gefertigten Gewändern der Ober- und Mittelschicht, sogar einige Soldaten in Drachenrüstungen. Sie brüllten im Chor, skandierten Worte, die Adeen nicht verstand, und – ja, sie tauchten Fackeln, Holzscheite und Papierrollen in Feuer, die offenbar nicht vom Brand der Akademie stammten, sondern auf dem Platz entzündet worden waren – und schleuderten die Flammen gegen Wände und

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