Flügel aus Asche
Rüstung, die Robe – ja, das war ein Magierkrieger. Adeen erinnerte sich an die Kinder, die Charral in der Akademie ausgebildet hatte. Auch dieser Junge konnte kaum älter sein als zwölf Jahre. »Aber er ist noch ein Kind. Quält ihn nicht und lasst ihn gehen. Seine Eltern warten irgendwo in dieser Stadt auf ihn.«
»Wenn die Götter auf unserer Seite stehen, sind seine Eltern längst hinüber«, erwiderte der Soldat. »Jetzt geh mir aus dem Weg. Der Bursche ist mein Gefangener. Du hast kein Recht –«
»Was ist hier los?« Ein hagerer Mann trat zwischen sie. Sein pelzbesetzter Helm und sein Umhang aus weißem Wolfsfell – ebenfalls beschmutzt von Kampf und Feuer – wiesen ihn als einen der Befehlshaber der königlichen Truppen aus.
»Der Kerl hier will, dass ich meinen Gefangenen laufenlasse!«, beschwerte sich der Soldat.
Der Befehlshaber musterte kurz ihn, Adeen und das Kind. Dann trat er drohend einen Schritt auf Adeen zu, doch seine dunklen Augen wirkten bekümmert, daher wich Adeen nicht zurück.
»Ihr solltet Euch nicht einmischen«, sagte der Mann. »Ich weiß, wer Ihr seid, aber das gibt Euch nicht das Recht, militärische Operationen zu behindern.«
Während er sprach, trieb der Soldat seinen kleinen Gefangenen bereits weiter.
»Militärische Operationen, so nennt Ihr das?« Adeens Empörung verwandelte sich in Wut. »Es ist nur ein Kind –«
»Und ein Feind«, sagte der Befehlshaber. »Ihr müsst es der Königin überlassen, zu entscheiden, was mit unseren Feinden zu geschehen hat. Die Soldaten sind wütend, aber wer könnte es ihnen übelnehmen. Diese Stadt hat uns unterdrückt, solange wir uns erinnern können. Haltet uns nicht mit solchen Dingen auf. Die einfachen Leute sind es, die vor Übergriffen geschützt werden müssen.«
Adeen wich zurück. »Aber … es ist nicht richtig, den Jungen …« Er verstummte. Für einen Moment hatte er etwas Entscheidendes vergessen: All diese Kämpfer, alle, die jetzt in die Stadt einzogen, waren von der Rashija beherrscht worden. Sie hatten für ihre Freiheit gekämpft. Und sie hatten nicht wie Adeen hier gelebt. Sie waren nicht bereit, jemanden zu schonen, nur weil er jung war. Und sosehr es ihm zuwiderlief, es gab nichts, was er im Augenblick für den Jungen tun konnte.
Der Befehlshaber wandte sich ohne ein weiteres Wort ab und tauchte in das Gewimmel seiner Truppen ein. Adeen holte tief Atem. Er hasste diesen Tag bereits jetzt. Das Wort Freiheit hatte einen schönen Klang, und ihm schien, als hätten viele Menschen, die er kannte – Nemiz, Keyla, sogar er selbst –, mehr auf den schönen Klang gehört, als wirklich über die Konsequenzen nachzudenken.
Noch mehrmals sah er, wie Soldaten auf beliebige Menschen losgingen, die ihnen auf den Straßen entgegenkamen. Wurden sie nicht rechtzeitig davon abgehalten, schlugen sie die Einwohner, die nur mit Hacken und Besen bewaffnet waren, zusammen und versuchten sogar, sie zu töten. Selbst dem Befehlshaber fiel es schwer, seine Leute unter Kontrolle zu halten, so groß war der Hass der Rebellen auf Rashija und alle, die zu der Stadt gehörten.
Adeen zog sich die Kapuze über den Kopf und wünschte sich, nichts mehr zu sehen oder zu hören.
21
Farben
D ie Waffen der Soldaten bildeten einen Ring um den Marktplatz. Kaltes Winterlicht blitzte auf den Klingen. In den letzten Stunden waren die Eroberer vor allem bemüht gewesen, das Chaos in den Griff zu bekommen und die gefährlichsten Brandherde einzudämmen. Von Ruhe oder Entspannung konnte aber noch keine Rede sein. Die Luft dröhnte von zornerfüllten Rufen, denn rings um den Platz hatten sich Menschen gedrängt, so dicht, dass Adeen überzeugt war, sie würden sich gegenseitig erdrücken, sobald Panik unter ihnen ausbrach. Ständig mussten die Soldaten für Ruhe sorgen, aber der Lärm ließ immer nur für wenige Augenblicke nach. Im Zentrum des lebendigen Rings aus Truppen und Schaulustigen hatte die Königin von Tama alle Ratsmitglieder zusammengetrieben, derer ihre Soldaten habhaft geworden waren. Zwanzig Männer und Frauen hatten einst die Regierung von Rashija gebildet, gefangen waren sieben. Sie standen aneinandergedrängt, mit Gesichtern voller Angst und Wut. Ihre bunten Gewänder hingen in schmutzigen Fetzen an ihnen hinab. Viele hielten ihre edelsteinverzierten Dolche oder Kristallstäbe in den Händen, wie um sich zu verteidigen, doch es war offensichtlich, dass sie damit niemanden angreifen würden. Die Dolche waren mehr Statussymbole als
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